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20. Juni 2010 7 20 /06 /Juni /2010 11:08
111 Staaten verhandeln in Kampala über eine Jahrhundertfrage des Völkerrechts und ein altes Versprechen. „Aggression“ soll strafbar sein.

 

Vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg wurden einst nur die deutschen Aggressoren verurteilt. Doch der amerikanische Chefankläger Robert Jackson rief schon damals aus: Wenn das Strafrecht in der Zukunft seinen Zweck erfüllen solle, so müsse es auch bei Aggressionen anderer Nationen zur Anwendung kommen, unter Einschluss derer, die in Nürnberg zu Gericht sitzen. Als die Bemühungen um die Einrichtung eines ständigen Weltstrafgerichts 1998 in Rom endlich zum Durchbruch kamen, knüpften die Verfasser des Gründungsvertrags über den Internationalen Strafgerichtshof in der Präambel an diese gewachsene Überzeugung an. Gleichzeitig allerdings, und das mag man als eine Paradoxie des gegenwärtigen Rechtszustands empfinden, ist es dem neuen Gericht bis heute verwehrt, dem Verdacht desjenigen Verbrechens nachzugehen, das den internationalen Frieden nicht lediglich bedroht, sondern verletzt. Denn während die ersten Verfahren wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen das Weltstrafgericht inzwischen erreicht haben, darf dieses einstweilen über Verbrechen der Aggression nicht verhandeln. In der Hauptstadt Ugandas hat in dieser Woche eine Staatenkonferenz begonnen, auf der darüber entschieden wird, ob das so bleiben soll.

 

Der vielleicht grundsätzlichste Einwand dagegen lautet, Verfahren wegen des Verdachts der Aggression seien geeignet, den Internationalen Strafgerichtshof zu politisieren. Hierbei schwingt die Vorstellung mit, der zwischenstaatliche Einsatz militärischer Gewalt sei einer gerichtlichen Überprüfung als „politische Frage“ nicht zugänglich. Eine solche Sichtweise verträgt sich indessen schlecht damit, dass das Gewaltverbot 1945 durch die Satzung der Vereinten Nationen zu einer Fundamentalnorm der Völkerrechtsordnung erhoben worden ist. Dementsprechend hat der Internationale Gerichtshof, der anders als der Internationale Strafgerichtshof über zwischenstaatliche Streitigkeiten urteilt, einer solchen Political-Question-Doktrin widersprochen. Warum für den Internationalen Strafgerichtshof etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Eine zweite Ausprägung des Politisierungsarguments setzt bei dem Umstand an, dass das Verbrechen der Aggression anders als die übrigen Völkerstraftaten die Feststellung einer staatlichen Völkerrechtsverletzung erfordert. Diese Argumentation ist allerdings vordergründig. Sie lässt unbeachtet, dass es auch bei den übrigen Völkerstraftaten häufig, wenn nicht sogar typischerweise um staatlich gestütztes Unrecht geht. So muss bei der Klärung der Frage, ob der Beschuldigte und Präsident des Sudan Bashir in Darfur Völkermord begangen hat, unweigerlich auch die Vorfrage einer entsprechenden Völkerrechtsverletzung des Staates Sudan behandelt werden. Doch hindert dies die Staatengemeinschaft weder in diesem noch in vergleichbaren politisch brisanten Fällen, dem Verdacht des Völkermords nachzugehen. Wiederum ist nicht einzusehen, warum für das Aggressionsverbrechen Besonderes gelten soll.

Die Reichweite des Gewaltverbots

Die Kritik entzündet sich vor allem an der Umschreibung des völkerrechtswidrigen Gewalteinsatzes, an dem sich der einzelne Aggressor beteiligen muss. In dem Definitionsvorschlag, der in zehn Jahren in einem intensiven und für alle Staaten offenen Verhandlungsprozess erarbeitet wurde, heißt es, der staatliche Gewalteinsatz müsse die Satzung der Vereinten Nationen seiner Natur, seiner Schwere und seinem Umfang nach offenkundig verletzen. Diese Schwellenklausel sei nicht hinreichend bestimmt, so heißt es, und der Streit darüber, ob die jeweilige Militäroperation das Gewaltverbot offenkundig verletzt, sei für die Zukunft geradezu programmiert. Der Internationale Strafgerichtshof werde so in den Streit der Staaten über die Reichweite des völkerrechtlichen Gewaltverbots verstrickt. Richtig ist die Einsicht, dass das Gewaltverbot nach der Satzung der Vereinten Nationen mit einer gewichtigen Grauzone behaftet ist und dass diese Grauzone eine zentrale Herausforderung für die Formulierung des Völkerstraftatbestandes der Aggression darstellt.

 

Ein gegenüber dem Politisierungsargument gewichtigeres Bedenken nimmt die beiden Teilbereiche des seit 1945 geltenden Friedenssicherungsrechts im weiteren Sinn in den Blick. Innerhalb des ersten Bereichs verbieten die Satzung der Vereinten Nationen und das Völkergewohnheitsrecht den Staaten die Anwendung militärischer Gewalt, sofern nicht bestimmte Erlaubnistatbestände vorliegen. Diesen Regelungsbereich kann man plastisch auf den Begriff des Rechts gegen den Krieg bringen. Wird dieses Recht mit der Folge verletzt, dass es zum Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen mindestens zwei Staaten kommt, so findet die Notrechtsordnung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Anwendung, und zwar sowohl auf den Angreifer als auch auf den Verteidiger. Diese zweite Regelungsebene führt das klassische Recht im Krieg in modernem Gewande fort. Die Befürchtung der Skeptiker geht dahin, dass die Steuerungswirkung des Rechts im Krieg beschädigt werden könnte, wenn die Aggressoren wegen der Verletzung des Rechts gegen den Krieg ohnehin mit schwerer Strafe zu rechnen hätten. Diese Befürchtung ist nicht ganz zu entkräften, aber zunächst einmal erheblich zu nuancieren. Denn die Strafdrohung wegen des Verbrechens der Aggression ist seit jeher auf das Führungspersonal des Aggressorstaates beschränkt. Den tieferen Sinn dieser auf den ersten Blick verwunderlichen Begrenzung des Aggressionstatbestandes kann man gerade darin sehen, auch den Soldaten unterhalb der obersten Führungsebene, die den Angriffskrieg tatsächlich durchführen, jeden Anreiz zu belassen, keine Kriegsverbrechen zu begehen und so am Ende der bewaffneten Auseinandersetzung straflos zu bleiben. Hierauf mag man erwidern, dass dem Normappell, den die kriegsrechtlichen Verhaltensnormen an die Soldaten richten, häufig ein stärkerer Handlungsimpuls in Gestalt von verbrecherischen Befehlen der Führung des Aggressorregimes entgegenstehen wird. Wie auch immer man diesen Einwand auf der empirischen Ebene bewerten mag, er führt am Ende zu einer sehr grundsätzlichen Gegenfrage. Möchte man tatsächlich, um die volle Abschreckungswirkung des Völkerstrafrechts im Krieg nicht zu gefährden, auf die Abschreckungswirkung des Völkerstrafrechts gegen den Krieg nahezu vollständig verzichten? Dieser Preis ist zu hoch.

War der Irak-Krieg strafbar?

Seit jeher konkurriert ein enges Verständnis des Selbstverteidigungsrechts mit einer großzügigeren Deutung. Von dem anhaltenden Streit betroffen sind vor allem die Verteidigung gegen unmittelbar bevorstehende bewaffnete Angriffe, die Verteidigung gegen nichtstaatliche bewaffnete Angriffe und die Verteidigung eigener Staatsangehöriger im Ausland gegen akute, schwere Gefahren. In neuerer Zeit ist der Streit über die Zulässigkeit militärischer Rettungsaktionen bei einer sich abzeichnenden humanitären Katastrophe hinzugekommen. Drei Gewalteinsätze der letzten Jahre mit deutscher Beteiligung fallen in diese Grauzone: die bewaffnete Rettung deutscher Staatsangehöriger in Albanien (1997), die Luftoperation in der Bundesrepublik Jugoslawien zur Beendigung der massiven Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo (1999) sowie die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan zur Verhinderung der Fortsetzung des bewaffneten Angriffs der transnationalen Terrororganisation Al Quaida (seit 2001). Ziel der Schwellenklausel ist es, die Beteiligung an solchen und anderen völkerrechtlich ernstlich umstrittenen Gewalteinsätzen von der Völkerstrafbarkeit auszunehmen. Dahinter steht die richtige Überzeugung, dass sich das Völkerstrafrecht auf die Ahndung solchen Verhaltens zu beschränken hat, dessen Einordnung als Unrecht auf einem belastbaren internationalen Konsens beruht. Das zu einer Aufhellung der Grauzone berufene Gericht ist der für zwischenstaatliche Streitigkeiten berufene Internationale Gerichtshof. Selbst diesem wird es freilich in naher Zukunft kaum gelingen, den um die Reichweite des Gewaltverbots geknüpften gordischen Knoten auch nur weitgehend zu entwirren, zumal sich ein wesentlicher Teil der Staatengemeinschaft seiner Gerichtsbarkeit über Fragen des Friedenssicherungsrechts nicht unterworfen hat. Deshalb wird die Schwellenklausel auf absehbare Zeit gebraucht.

 

Dem wird entgegengehalten, dass eine Schwellenklausel, welche die ihr zugedachte Funktion erfüllt, alle Gewalteinsätze auszuklammern, über deren Völkerrechtswidrigkeit sich ernstlich streiten lässt, den Straftatbestand in der Praxis leerlaufen ließe. Die Kritik sei an dem Beispiel des Gewalteinsatzes der „Koalition der Willigen“ im Irak (2003) verdeutlicht. Die besseren Gründe sprechen dafür, diese Invasion als völkerrechtswidrig einzustufen. Doch auch wenn es vielen nicht gefällt, die sich nach Eindeutigkeit sehnen: Die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats lassen Raum für eine nicht abwegige Gegenposition, so wie sie der amtierende englische Richter am Internationalen Gerichtshof eingehend entwickelt hat. Wenn danach auch der Irak-Krieg von 2003 die Schwellenklausel nicht passieren würde, bliebe dem Straftatbestand gegen Aggression dann noch ein sinnvoller Anwendungsbereich? Das scharfe und deshalb prekäre Schwert des Völkerstrafrechts muss auf schwerstes internationales Unrecht beschränkt bleiben. Glücklicherweise sind Aggressionen vom Stil Hitlers und Saddam Husseins nicht an der internationalen Tagesordnung. Die Völkerstrafdrohung zielt auf den Ausnahmefall, der auch für die Zukunft nicht auszuschließen ist.

Die Rolle des UN-Sicherhseitsrats

Soll aber auch ein solcher Ausnahmefall nur dann zum Gegenstand eines Strafverfahrens vor dem Internationalen Strafgerichtshof gemacht werden können, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem zustimmt? Das ist die Forderung der fünf ständigen Ratsmitglieder. Allerdings gibt es ein Sicherheitsratsmonopol nur bei der Anordnung von Maßnahmen kollektiver Sicherheit nach dem siebten Kapitel der Satzung der Vereinten Nationen, nicht darüber hinaus. Deshalb hat der Internationale Gerichtshof das Ansinnen, über Fragen des Friedenssicherungsrechts so lange nicht zu urteilen, wie der Sicherheitsrat mit ihnen befasst ist, längst zurückgewiesen. Völkerrechtspolitisch spricht gegen ein Sicherheitsratsmonopol dessen Wirkung in der Praxis. Da die ständigen Ratsmitglieder über ein Vetorecht verfügen, könnten sie Strafverfahren wegen des Verbrechens der Aggression gegen sich und ihre Verbündeten verlässlich verhindern. Das liefe dem fundamentalen Postulat der Gleichheit vor dem Völkerstrafrecht diametral zuwider. Im Grunde spricht nichts dagegen, Zuständigkeit und Verfahren bei dem Verdacht eines Aggressionsverbrechens so auszugestalten wie bei den übrigen Völkerstraftaten. Das würde bedeuten, dass der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das Aggressionsverbrechen auch über Angehörige von Staaten ausüben könnte, die der vertraglichen Aggressionsregelung nicht zustimmen. Voraussetzung wäre, dass sich die Aggression gegen einen Staat richtet, der Vertragspartei des Aggressionsregimes ist. Viele Vertragsstaaten favorisieren diese Lösung, und doch ist sie unrealistisch. Denn die hierfür mindestens erforderliche Zweidrittelmehrheit ist nicht in Sicht. Realistischer Kandidat für einen Gesamtkompromiss in Kampala ist folgendes Modell: Ein Strafverfahren wegen eines Aggressionsverbrechens kann zum einen vom Sicherheitsrat ausgelöst werden. Die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs wäre in diesem Fall nicht von der Ratifikation des Änderungsprotokolls durch die betroffenen Staaten abhängig, sondern sogleich universeller Natur. Darüber hinaus wäre der Gerichtshof zum Tätigwerden in solchen Fällen befugt, in denen sowohl der vermeintliche Aggressor- als auch der vermeintliche Opferstaat die neue vertragliche Regelung ratifiziert haben oder die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit ad hoc gestatten. Hiernach bliebe der Aktionsradius des Strafgerichtshofs in den Fällen, in denen der Sicherheitsrat dem Strafverfahren nicht zustimmt, empfindlich begrenzt. Im Völkerrecht ist es jedoch nicht selten der richtige Weg, geduldig auf die langfristige Wirkung von sanftem Rechtfertigungsdruck zu setzen, den auch konsensuale Zuständigkeitsregelungen entfalten können.

 

Das Kompromissmodell dürfte in Kampala vom Ende dieser Woche an im Zentrum der Verhandlungen stehen. Zum einen müssten sich die vielen Staaten der Gruppe der Blockfreien dazu durchringen, nicht länger auf einem schneidigeren Zuständigkeitsmodell zu beharren. Zum anderen müssten Frankreich und das Vereinigte Königreich die Forderung eines Sicherheitsratsmonopols aufgeben. Sicher besteht die Gefahr der Beschädigung des neuen Systems der Internationalen Strafgerichtsbarkeit, wenn zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats überstimmt werden. Doch hat nicht auch der Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Staatengemeinschaft Gewicht, beim Aggressionsverbrechen endlich den Durchbruch zu erzielen? Und gilt das nicht umso mehr bei dem soeben skizzierten Gesamtkompromiss, der auf die Sorgen von Staaten, die das Änderungsprotokoll nicht ratifizieren, umfassend Rücksicht nimmt? Bei der Aggressionsfrage steht aus der Sicht vieler Staaten, darunter auch eine stattliche Zahl von Nichtvertragsstaaten, der Wille der „westlichen Welt“ auf dem Prüfstand, auch denjenigen Tatbestand der Völkerstrafgerichtsbarkeit zu unterwerfen, in dessen Reichweite man am ehesten selbst einmal gelangen könnte. Die Zeit ist gekommen, um dieses große Versprechen von Nürnberg einzulösen.

 

Professor Dr. Claus Kreß lehrt Straf- und Völkerrecht an der Universität zu Köln; er hat an dem Entwurf einer Aggressionsdefinition mitgearbeitet und ist in Kampala Mitglied der deutschen Delegation; Mitarbeit: Leonie von Holtzendorff, Doktorandin.

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