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13. Januar 2011 4 13 /01 /Januar /2011 22:53

Demokratische Vertiefung statt Integration

Seit dem Beginn der Euro-Krise im Mai 2010 erleben wir eine neue dramatische Dynamik der EU-Integration. Dies ist durchaus überraschend. Zur Erinnerung: die so genannten EU-Verfassung scheiterte bei dem Referendum in Niederlanden und mit dem „Non!“ in Frankreich im Jahre 2005 spektakulär. Anschließend konnte der an sie angelehnte Vertrag von Lissabon nur nach der Wiederholung eines zuvor gescheiterten Referendums in Irland Ende 2009 in Kraft treten. Alles deutet darauf hin, dass diese EU mehrheitlich in Europa nicht gewollt ist. Eine Integrationspause war daher zu erwarten. Stattdessen treiben nun die Finanzmärkte mit rasender Geschwindigkeit eine neue Phase der EU-Integration voran. Denn mit der Finanzkrise haben sie de facto den Ausnahmezustand ausgerufen: Die lückenhafte Konstruktion von Euro und EU kann die profitable Verwertung des (fiktiven) Kapitals von Banken und anderen Finanzakteueren nicht mehr gewährleisten. Insbesondere der Ausfall von Staatsanleihen bedroht die Solvenz der Bankkonzerne.

Unter Hochdruck schaffen die Regierungen nun neue Institutionen: zunächst den Euro-“Rettungsfonds“ (ESFS), um die Banken vor Verlusten zu schützen. Und jetzt den dauerhaften EU-„Stabilitätsmechanismus“ (ESM). Zudem wird EU-weit Sozialabbau orchestriert, um die Zahlungen an die privaten Kreditgeber nicht zu gefährden. Zu diesem Zwecke wurde auch der IWF - insbesondere auf Druck von Merkel - in den Euro-Raum geholt. Dieser ist nun bar jeglicher demokratischer Legitimation Teil der EU-Architektur. Eine Troika aus EU-Kommission, Europäische Zentralbank und des IWF beschränken nun in Irland und Griechenland erheblich die parlamentarische Demokratie aus, um Kürzungen im Sozialbereich durchzudrücken. Der gegenwärtige Sog der EU-Integration ist Element der neoliberalen Restauration, nachdem die Krise den herrschenden Block kurzzeitig durchgeschüttelt hatte. Das Zwischenergebnis: eine sich beschleunigenden Machtkonzentration zugunsten von EU-Gremien zu beobachten.

Dieser Prozess soll nach dem Willen von Schäuble Sarkozy u.a. schrittweise durch eine EU-Wirtschaftsregierung weiter institutionell abgesichert werden. Dassbei dieser Konstellation in links-liberalen und bisweilen auch linken Kreisen die Forderung einer EU-Wirtschaftsregierung – wenn auch unter sozialen Vorzeichen - und damit einer weiteren Machtverlagerung das Wort geredet wird, ist deshalb fatal. Wer angesichts der neuen neoliberalen Integrationsdynamik mehr Macht für EU-Gremien fordert, erweist der europäischen Idee einen Bärendienst. Mehr EU, heißt dann nämlich mehr Nationalismus. Denn als Gegentendenz zur Machtverlagerung in den transnationalen Raum und zur Entdemokratisierung gewinnt rechte EU-Skepsis an Boden. Mehr EU-Integration und Renationalisierung sind kein deshalb im Hier und Jetzt kein Widerspruch sondern die zwei Seiten einer Medaille

Das hängt damit zusammen, dass die EU seit Mitte der 80er Jahre im Kern ein Projekt der Konzerne ist, mit dem Resultat massiver sozialer Spaltung. Demgegenüber sind soziale Erfolge auf europäischer Ebene bisher äußert dünn gesät. Die Mobilisierung sozial progressiver Interessen stößt bisher auf nur schwer zu überwindende Hindernisse, wie geringe Ressourcen und weitgehend getrennte nationale Öffentlichkeiten. Wenn auch gewünscht, transnationale Politik von unten wird auf mittlere Sicht schwach bleiben.

Selbstverständlich ist es auch aus linker Sicht notwendig die Konstruktion von Euro-Zone und EU zu verändern, um die Folgen der Krise zu bewältigen und zudem ihre Ursachen zu beseitigen. Notwendig sind: a.) Die Erhöhung von Transferleistungen von den Überschussländern wie Deutschland in die Defizitländer; b.) Die EZB sollte Staaten direkt mit niedrigen Zinsen finanzieren, anstatt Staaten den Finanzmärkten auszuliefern; c.) Langfristig müssen die ökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der EU mittels einer intensiveren Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik abgebaut werden. Ein europäischer Mindestlohn wäre dafür eine erste Etappe. Einige sind im Rahmen der existierenden Mechanismen prinzipiell möglich – ohne dass Brüssel mehr Entscheidungsbefugnisse bekommt. Andere dieser Schritte erfordern institutionelle Veränderungen. Hier sollte das Prinzip gelten, dass Prozesse einer behutsamer Kompetenzerweiterungen der europäischen Ebene, durch eine Erweiterung demokratischer Spielräume ausbalanciert werden müssen. Insbesondere gilt es, den Binnenmarkt mit seiner Konkurrenzorientierung, das Kernprojekt der neoliberalen EU, zurück zu drängen. Neue wirtschaftspolitische Spielräume auf lokaler und regionaler Ebene nötig, um sozial und ökologisch progressive Politik machen zu können.

Ohne eine solche Perspektive drohen linke Positionen in die Zange genommen und an den Rand gedrängt zu werden. Und zwar zwischen einer liberalen Strömung pro EU-Integration zugunsten der transnational orientierten ökonomischen Eliten und einer chauvinistischen Strömung. Dies ist bereits eine deutliche Tendenz - besonders in Osteuropa. Das Motto sollte stattdessen sein: Demokratische Vertiefung und Solidarität statt EU-Integration.

Alexis J. Passadakis ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac

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