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13. November 2013 3 13 /11 /November /2013 15:18

Mit spöttischen Schlagzeilen kommentieren deutsche Boulevard-Medien den gestrigen Paris-Besuch der deutschen Kanzlerin. "Strahlende Siegerin trifft hilflosen Hollande", titelt die Springer-Presse mit Blick auf die dramatische wirtschaftliche Lage Frankreichs: Das Land blicke "in den Abgrund".

Jenseits offener Stimmungsmache konstatieren Experten eine "Abkopplung" der französischen Wirtschaft von der deutschen.

Berlin habe der deutschen Industrie mit den "Hartz-Reformen" - Lohnverzicht, Sozialkürzungen - einen erheblichen Vorteil verschafft, heißt es in Analysen. In Frankreich sei der Widerstand in der Bevölkerung gegen entsprechende Austeritätsprogramme bislang nicht zu brechen gewesen.

Die deutsch-französischen Differenzen seien so groß, dass inzwischen "die Zweifel gewachsen" seien, "ob es noch eine ausreichende Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit gibt", heißt es in einer aktuellen Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Als weiteren Beleg für die Erosion der Bindungen zwischen Deutschland und Frankreich interpretieren Beobachter den jüngst gefällten Pariser Beschluss, einen wichtigen Teil der Deutsch-Französischen Brigade aus der Bundesrepublik abzuziehen.

Im Hintertreffen

Die ungleiche ökonomische Entwicklung, die Deutschland und Frankreich verzeichnen, seit Berlin sich im Machtkampf um die EU-Krisenpolitik gegen Paris durchgesetzt hat (german-foreign-policy.com berichtete), wird von französischen Experten inzwischen offen als "Abkopplung" ("décrochage") der Wirtschaft ihres Landes bezeichnet. Sie ist Gegenstand einer aktuellen Analyse, die Henrik Uterwedde, Stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, soeben bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) veröffentlicht hat.

Demnach gerät Frankreich in der Tat "zunehmend ins Hintertreffen".

Während die deutsche Wirtschaft wächst, stagniert die französische; während die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit 2009 auf 5,4 Prozent gesunken ist, ist sie in Frankreich auf elf Prozent gestiegen.

Deutschlands Exporte boomen und bescheren dem Land ein riesiges Außenhandelsplus, während Frankreich tief ins Minus geraten ist. Zudem verliert Uterwedde zufolge die französische Industrie "zunehmend an Gewicht": "Im Jahr 2000 betrug die Wertschöpfung der französischen Industrie noch 50 Prozent der deutschen industriellen Wertschöpfung; zehn Jahre später war die Relation auf 40 Prozent gesunken."

Berliner Regierungsberater konstatieren inzwischen offen, das "relative Gewicht" Deutschlands nehme zu, während Frankreich "an Einfluss" verliere.

Lohnverzicht: "Fähigkeit zur Kooperation"

Uterwedde zufolge steht es "außer Zweifel", dass die "Hartz-Reformen" der rot-grünen Bundesregierung für die deutsche Wirtschaft günstige Bedingungen schufen - Bedingungen, die es ihr schließlich erlaubten, sich gegen die französische Konkurrenz durchzusetzen.

In Frankreich erinnere die Lage heute "in vielerlei Hinsicht" an die Situation in Deutschland vor den "Hartz-Reformen", urteilt der Stellvertretende Direktor des Deutsch-Französischen Instituts. Allerdings habe Paris "notwendige Strukturveränderungen" bisher verschoben - nicht zuletzt wegen "massive(n) politischen Protest(s)".

Über die faktische Duldung von Lohnabbau und Sozialkürzungen durch deutsche Gewerkschaften etwa im Rahmen der "Hartz-Reformen" schreibt Uterwedde, "die betrieblichen Bündnisse für Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit", die "Management und Betriebsräte in zahlreichen größeren Industrieunternehmen seit den 1990er Jahren ausgehandelt" hätten, seien sehr erfolgreich gewesen; Grundlage sei die "in Deutschland vorhandene Fähigkeit zur kooperativen Überwindung von Problemen".

Mit Blick auf die Kampfbereitschaft französischer Gewerkschafter heißt es in der Untersuchung, "in Frankreich" sei "diese Fähigkeit zur Kooperation nur schwach ausgeprägt".

Französische Widerstände

Tatsächlich ist die Kritik an neoliberalen Einschnitten wie den "Hartz-Reformen", die die Kluft zwischen Armut und Reichtum immer weiter öffnen und inzwischen sogar die Unterschiede in der Lebenserwartung von Armen und Reichen in Deutschland spürbar vergrößern, in Frankreich weit verbreitet. Man habe es mit "politische(m) Widerstand eines beträchtlichen Teils der französischen Gesellschaft" gegen neoliberale Maßnahmen zu tun, räumt Uterwedde ein.

"Zur negativen Bewertung der deutschen Wirtschaftspolitik" komme inzwischen "die Kritik an der deutschen ökonomischen Dominanz und am deutschen Kurs in der Eurozone" hinzu. Letzterer sei, heiße es in Frankreich immer wieder, "zu einseitig auf Sparpolitik ausgerichtet"; er zwinge "den Nachbarländern eine verhängnisvolle Austeritätspolitik auf".

Die bislang "vielfach geäußerten Hoffnungen auf einen Regierungswechsel in Berlin und einen damit einhergehenden neuen Kurs der deutschen Europa-Politik" hätten sich nun zerschlagen; man erwarte in Frankreich von der bevorstehenden großen Koalition "allenfalls marginale Veränderungen der deutschen Politik".

Auf Regierungsebene sei Frankreichs Widerstand gescheitert: "Die zeitweiligen, wenig von Erfolg gekrönten Versuche des französischen Präsidenten, Mehrheiten in Europa ohne oder gegen Deutschland zu organisieren, dürften der Vergangenheit angehören."

Deutschlands "Hinterhof"

Ähnliche Zweifel werden inzwischen nicht nur in wirtschafts- und finanzpolitischen, sondern auch in außen- und militärpolitischen Debatten geäußert.

So zeigt ein Blick auf die Geschichte der außenpolitischen Aktivitäten und der militärischen Interventionen der EU, dass seit den 1990er Jahren vorwiegend deutsche Interessen in Ost- und Südosteuropa bedient wurden: mit den Kriegen in Jugoslawien, der EU-Osterweiterung sowie der "Östlichen Partnerschaft", die Ende November mit einer auch formal engeren Anbindung mehrerer Staaten Osteuropas und des Kaukasus an die EU gekrönt werden soll.

Französische Interessen in Afrika wurden zurückgestellt; unvergessen ist die Interview-Äußerung des damaligen Bundesverteidigungsministers Volker Rühe im Jahr 1994: "Das Eurokorps ist kein Afrikakorps", ebenso das von Berlin geförderte Scheitern der von Paris erstrebten Mittelmeer-Union.

Frankreich werde in seinem traditionellen afrikanischen Einflussgebiet schwächer, urteilten Berliner Regierungsberater schon vor zwei Jahren; auf lange Sicht könne "die Distanz zwischen Paris und den Mittelmeer-Ländern" sogar "noch größer werden". Das Gegenteil ist hinsichtlich der Stellung Deutschlands in seinem traditionellen Einflussgebiet Ost- und Südosteuropas der Fall.

Die Deutsch-Französische Brigade

Vor diesem Hintergrund hat Paris Ende Oktober einen drastischen Einschnitt bei der Deutsch-Französischen Brigade beschlossen. Deren Gründung geht auf eine Übereinkunft zwischen Helmut Kohl und François Mitterand aus dem Jahr 1987 zurück; sie ist im Jahr 1989 aufgestellt worden - als Symbol der deutsch-französischen "Versöhnung".

Frankreich hat immer wieder darauf gedrängt, die Brigade auch einzusetzen; die Bundesrepublik hat dies konsequent verhindert - nicht aus pazifistischen Motiven, sondern weil sie Kriege stets nur im eigenen Interesse führt, nicht aber, um französische Interessen zu unterstützen.

Offiziell heißt es nun in Paris, man sehe sich wegen unumgänglicher Einsparungen gezwungen, nächstes Jahr das 110. Infanterieregiment aus dem baden-württembergischen Donaueschingen abzuziehen; bei diesem handelt es sich um einen sehr wichtigen Teil der Deutsch-Französischen Brigade.

Tatsächlich spielt bei der Entscheidung zum Abzug die Erkenntnis eine Rolle, dass die deutsche Seite in dem binationalen Projekt lediglich eigenen Interessen folgt und ein Ausgleich nicht vorgesehen ist.

Beobachter weisen denn auch darauf hin, dass Frankreich die Militärstützpunkte in seinen einstigen Kolonien nicht Sparzwängen opfert. Die brachiale deutsche Interessendurchsetzung führt zu Einschnitten bei bilateralen Projekten - auch bei der Deutsch-Französischen Brigade.

Zweifel

Wie Henrik Uterwedde mit Blick auf wirtschafts- und finanzpolitische Fragen schreibt, sind in jüngster Zeit "die Zweifel gewachsen, ob es noch eine ausreichende Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit gibt". Derlei Zweifel haben längst eine ganz Reihe weiterer Politikbereiche erfasst - ein Ergebnis der hart exekutierten deutschen Dominanz.

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