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13. Juli 2010 2 13 /07 /Juli /2010 18:39

"Wir müssen uns auf wirtschaftsethische Grundwerte verständigen"

Von Marcus Mockler und Achim Schmid (epd)

Stuttgart (epd). Bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) kommen vom 20. bis 27. Juli Vertreter von 140 Kirchen mit 70 Millionen Mitgliedern in Stuttgart zusammen. Der gastgebende Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, erläutert im epd-Interview, wie sich die Weltversammlung für mehr Gerechtigkeit einsetzt, was für die Ökumene künftig zu tun ist und wen er sich als Nachfolger für Margot Käßmann als Ratsvorsitzenden der EKD wünscht. Die Fragen stellten Marcus Mockler und Achim Schmid.

epd: Herr Bischof, das Thema der Versammlung des Lutherischen Weltbundes in Stuttgart lautet nach einer Gebetszeile aus dem Vaterunser: "Unser tägliches Brot gib uns heute." Müsste es in Europa nicht heißen: "Bewahre uns vor der Überproduktion?"

July: Das wäre richtig, wenn das Gebet nur die Wirklichkeit in Deutschland abbilden würde. Doch diese Bitte Jesu sollen alle Christen beten. Wenn wir sie durchbuchstabieren hinein in den Alltag von Menschen auf der ganzen Welt, wird umso wichtiger, dass wir sie als Lutheraner aus Süd und Nord, Ost und West miteinander beten. Dann können wir uns auch über unsere Fragen und Befindlichkeiten dazu austauschen.

epd: Wie ist denn Ihre persönliche Befindlichkeit bei dieser Bitte? 

July: Ich bete das sehr bewusst, etwa in unserer Familie beim Tischgebet. Ich bin dankbar, in welchen materiellen Verhältnissen ich leben darf. Die Bitte macht doch gerade deutlich, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Hat nicht die Finanzkrise gezeigt, dass vieles, was wir in unserem Land als selbstverständlich angesehen haben, plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist? Auch die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich habe ich dabei vor Augen. Bei dieser Bitte denke ich aber auch an Erfahrungen bei meinen Auslandsbesuchen, zum Beispiel in Äthiopien oder Lateinamerika, wo ich Armenviertel besucht habe. Da spricht diese Bitte noch einmal ganz anders in den Alltag.

epd: Die globale Finanzkrise verlangt auch globale Antworten. Manche sehen sie etwa in der geforderten Transaktionssteuer im Wertpapierhandel, die aber nur funktionieren kann, wenn sie international durchgesetzt wird. Wäre der Lutherische Weltbund ein Motor, der das global vorantreiben könnte? 

July: Da muss man sicher die Grenzen eines solchen Kirchenbundes realistisch einschätzen. Aber wenn wir bei den Beratungen zu dem Ergebnis kämen, dass etwa eine Transaktionssteuer weltweit eingeführt werden sollte, hat das bestimmt eine Wirkung. Wenn eine Weltgemeinschaft an die Staaten appelliert, nicht nur an ihre nationalen Befindlichkeiten zu denken, sondern daran, was der ganzen Welt dient, wird das nicht ohne Resonanz bleiben. Mir ist bei dieser Tagung ohnehin wichtig, dass die Öffentlichkeit sieht: Nicht nur die römisch-katholische Kirche ist eine Weltkirche, die Lutheraner sind es auch und tragen in vielen Ländern der Welt etwas Wesentliches bei. 

epd: Welche Möglichkeiten hat in einer globalisierten Welt ein Lutherischer Weltbund, Armut zu bekämpfen und bessere Lebensgrundlagen zu schaffen?

July: Über den Lutherischen Weltdienst haben wir ja ein entwicklungs-diakonisches Standbein, weshalb der Weltbund vor Ort helfen kann. Man wird aber immer wieder prüfen müssen, wie sich die großen Kirchenbünde, ökumenischen Organisationen und Entwicklungsorganisationen Gehör verschaffen können. Die Lutheraner haben sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie sozialethische Forderungen auch mit einem gewissen Augenmaß gestellt haben, die dann auch durchsetzbar waren. 

epd: Was ist denn in der momentanen Situation Ihre Forderung?

July: Ich meine, wir sollten uns als weltweite lutherische Gemeinschaft, aber auch über Religionen und Staatsformen hinweg über wirtschaftsethische Grundwerte verständigen. Wenn das nicht gelingt, werden wir viele ethische Forderungen national stellen, ohne dass das global eine langfristige Wirkung hat. Ein Beispiel macht das deutlich: Weltweit gilt inzwischen das Verbot der Kinderarbeit. Natürlich weiß ich, dass man sich nicht in allen Ländern daran hält, aber sie gilt gerade im Bewusstsein von Politikern als geächtet, und das halte ich für den ersten wichtigen Schritt. Sozialethische Forderungen dürfen nicht aus einem eurozentrierten Konfessionsimperialismus kommen, wir müssen uns auch an den Erfahrungen der Schwestern und Brüder in anderen Regionen orientieren. 

epd: Beobachter fürchten, dass es in Stuttgart zu Streitigkeiten unter den Lutheranern kommen wird. Bei der Bewertung der Homosexualität gehen die Meinungen weit auseinander. Besteht die Gefahr, dass es zu ähnlichen Verwerfungen kommen wird wie in der anglikanischen Kirche?

July: Das hoffe ich nicht und glaube ich auch nicht. Es gibt zwar sehr große Unterschiede zwischen den verschiedenen lutherischen Kirchen. Vielleicht können wir aber hier als deutsche Kirchen mit unseren Erfahrungen in diesen Diskurs – wenn er überhaupt geführt wird – helfen. Denn wir lernen hier ja auch, was es heißt: "Mit Spannungen leben", wie eine Denkschrift der EKD zu diesem Thema vor einigen Jahren überschrieben war. Wir sind beispielsweise der Meinung, dass unterschiedliche Auffassungen zur Homosexualität nicht so weit führen dürfen, dass die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen lutherischen Kirchen aufgekündigt wird. Wir müssen zusammenbleiben. 

epd: Aber wie soll das gehen? Eine skandinavische Kirche ordiniert Homosexuelle sogar ins Bischofsamt, eine afrikanische Kirche würde dieselbe Person rausschmeißen. Wie kann man da zusammenbleiben?

July: Die Frage ist: Reden wir dabei über eine kulturelle sexualethische Norm oder führt uns die Diskussion letztlich dahin, wie wir überhaupt die Bibel zu verstehen haben? Dass Kirchen in ihren Entscheidungen die Kultur berücksichtigen, in der sie leben, ist normal. Da haben die Schweden einen anderen Hintergrund als die Menschen in Tansania. Geht es hingegen unmittelbar um das Verständnis der Heiligen Schrift, dann müssen wir solche Fragen selbstverständlich diskutieren. Solche Diskussionen gibt es in unserer württembergischen Landeskirche ja auch. 

epd: Das Luthertum in Württemberg ist ganz anders als in anderen Kirchen – die Gottesdienstliturgie schlichter, die Frömmigkeit pietistisch. Auf welche Überraschungen müssen sich die Lutheraner aus aller Welt einstellen?

July: Nur auf positive Überraschungen. Wir haben Luthertum und pietistische Strömungen in einer guten Weise integrieren können. Die Liebe zur Bibel ist hier besonders ausgeprägt. Richtig ist, dass die lutherische Bekenntnisbindung im Bewusstsein unserer Mitglieder vermutlich etwas geringer ist als in anderen Landeskirchen. Wir haben Gaststatus in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland, der VELKD – aber wir tragen eben im Unterschied zu anderen Kirchen das "lutherisch" nicht im Namen. In der englischen Bezeichnung unserer Landeskirche ist das Wort "lutherisch" (lutheran) aber enthalten.

epd: Braucht es überhaupt noch verschiedene protestantische Bünde? Wäre es nicht vernünftiger, der großen katholischen Kirche einen starken weltweiten evangelischen Bund gegenüberzustellen, der Lutheraner, Reformierte und vielleicht sogar Taufgesinnte wie Baptisten und Mennoniten vereint?

July: Eigentlich waren wir schon ein Stück weiter mit der Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen, der alle Kirchen dieser Welt an einen Tisch zu bringen versuchte, um auch ein gemeinsames Zeugnis zu ermöglichen. Das scheint mir der vorrangige Weg, auch wenn die römisch-katholische Kirche aus verschiedenen Gründen nicht Mitglied im ÖRK ist. Die konfessionellen Bünde von Lutheranern und Reformierten kommen mit "Rom" sogar leichter ins Gespräch, weil es in den theologischen Diskursen oft um Bekenntnisfragen geht. Ein "superprotestantischer Weltbund" scheint mir derzeit gar nicht stemmbar – und vielleicht auch gar nicht so wichtig. 

epd: Wie stehen Sie zu der Idee ihrer Nachbarbischöfe, Johannes Friedrich (Bayern) und Ulrich Fischer (Baden), den Papst als Sprecher der Christenheit anzuerkennen?

July: Ich verstehe die Motive meiner beiden Amtsbrüder. Sie sind zum Teil missverstanden worden. Ein Papst als Sprecher der Christenheit wäre allerdings kaum vermittelbar. Die Menschen verbinden mit dem Papstamt seine kirchenleitenden Ansprüche, die beanspruchte "Unfehlbarkeit" in bestimmten Fragen – das alles ließe sich von einer Sprecher-Funktion nicht trennen. Dass es eines Tages eine Person geben könnte – auch aus anderen konfessionellen Traditionen – , die für die Weltchristenheit die Stimme erhebt, kann ich mir allerdings vorstellen. 

epd: Auch in Deutschland ist das Geflecht von Landeskirchen in ihren historischen Territorien, Konfessionsbünden von Lutheranern und Unierten und eine größere Zahl freikirchlicher Bünde für den Außenstehenden kaum mehr nachvollziehbar. Schwächt sich der Protestantismus durch seine Zersplitterung nicht selbst?

July: Für viele evangelische Christen spielen die Unterschiede zwischen lutherischem und reformiertem Bekenntnis keine Rolle. Und es gibt auch Vorstellungen mancher, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) von einem Bund eigenständiger Landeskirchen hin zu einer Organisation entwickeln sollte, die selbst den Status einer Kirche hat. Andererseits bemerken wir gerade in diesen Monaten innerhalb der EKD, dass sich Lutheraner und Unierte wieder stärker auf die jeweils eigenen theologischen Traditionen besinnen. Interessanterweise spielt im Ausland die Konfession eine deutlich stärkere Rolle. Wenn ich sage, ich bin ein lutherischer Bischof aus dem Südwesten Deutschlands, verstehen das die Leute. 

epd: Sind Sie sich mit Ihrem badischen Bischofskollegen Ulrich Fischer darin einig, dass eine Fusion der badischen und der württembergischen Landeskirche keine Eile hat?

July: Das könnte leicht so verstanden werden, dass mir das Thema gleichgültig wäre. Es hat eine Eile, dass wir als evangelische Kirchen in Baden-Württemberg weiter kooperieren. Bei der Diakonie wächst die Arbeit zusammen, auch in unserer Medienarbeit. Mehr Möglichkeiten gäbe es noch bei der Lehrerausbildung oder in Verwaltungsfragen. Andererseits beobachte ich, dass in einem zusammenwachsenden Europa plötzlich Regionen und Landschaften wieder eine größere Rolle spielen. Da wird der Wurzelboden der eigenen Frömmigkeit wieder wichtiger. Diese Böden sind in Baden und Württemberg unterschiedlich. 

epd: Sie sind kürzlich zum Vorsitzenden des Diakonischen Rats der EKD gewählt worden. Welche Herausforderungen kommen in diesem Amt auf Sie zu?
 
July: Uns wird das neue diakonische Zentrum in Berlin sehr beschäftigen, wo wir das Diakonische Werk der EKD, "Brot für die Welt" und den Evangelischen Entwicklungsdienst zusammenführen wollen.  Da hängt viel dran, etwa auch das Zusammenspiel von Landes- und Fachverbänden, das ist sehr komplex. 

epd: Werden Sie als Diakonie-Ratsvorsitzender auch zu tagespolitischen Fragen an die Öffentlichkeit gehen?

July: Der Diakonische Rat ist das Aufsichtsgremium, die operative Arbeit leisten der Präsident und der Vorstand des Diakonischen Werkes. Als Ratsvorsitzender ist die Tagespolitik nicht meines Amtes, das gehört zu meinem Auftrag als württembergischer Landesbischof. 

epd: Was halten Sie vom sogenannten Dritten Weg bei der Tariffindung, bei dem Löhne in paritätisch besetzten Kommissionen ausgehandelt werden und Streiks ebenso verboten sind wie Aussperrungen? Selbst der im vergangenen Jahr verabschiedete württembergische Diakonie-Chef Helmut Beck gibt diesem System nur noch zehn Jahre.

July: Ich bin ein Verfechter des Dritten Wegs. Diakonische Arbeit ist ein Dienst eigener Art. Ich kann mich schwer mit dem Gedanken anfreunden, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer einander nur noch mit ihren Partikularinteressen gegenübersitzen. Bislang haben wir Dienstgeber und Dienstnehmer – diese Worte zeigen an, dass wir im Dienst eines anderen stehen. Das sollten wir nicht vergessen, auch wenn wir etwa durch den Sozialwettbewerb vor großen Herausforderungen stehen. Konflikte müssen auf eine Art ausgetragen werden, die dem gemeinsamen Dienstauftrag entspricht. 

epd: Im November wird ein neuer EKD-Ratsvorsitzender als Nachfolger für die zurückgetretene Margot Käßmann gewählt. Sie sind zwar vergangenes Jahr in Ulm nicht in den Rat gewählt worden, dennoch die Frage: Wen favorisieren Sie als Ratsvorsitzenden?

July: Wir haben einen amtierenden Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider. Seinen Aussagen nach wird er sich zur Wahl stellen. Ich habe großes Vertrauen darauf, wie er schon jetzt diese Aufgabe wahrnimmt. Es tut gut, wenn wir nach den hinter uns liegenden Turbulenzen Kontinuität bekommen. Aus dieser Kontinuität heraus wird sich der deutsche Protestantismus angemessen und medienwirksam zu Wort melden. 

epd: Wir danken für das Gespräch. (1513/09.07.2010)

Quelle: http://www.epd.de/suedwest/suedwest_index_54158.html

 

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