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12. Juni 2010 6 12 /06 /Juni /2010 13:08

Im Koalitionsvertrag angekündigt, sei die Wehrpflicht auf sechs Monate zu verkürzen. Beobachter sind der Überzeugung, dass damit das Ende der staatlichen Wehrpflicht eingeleitet wird.

 

Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf den noch bestehenden staatlichen Zivildienst. Die Trägerorganisationen haben bereits angekündigt, dass sie vor diesem Hintergrund die Zivildienstleistenden nicht mehr sinnvoll einsetzen können. Bereits die Verkürzungen des Zivildienstes in den letzten Jahren haben gezeigt, dass eine zeitliche Limitierung nicht mehr machbar ist.


Über Alternativen zum staatlichen Zivildienst wird daher schon seit längerem nachgedacht. Bereits im Jahr 2004 hat die von der damaligen Bundesfamilienministerin, Renate Schmidt, eingesetzte Kommission „Zukunft des Zivildienstes“ empfohlen, für den Fall der Abschaffung der staatlichen Wehrpflicht, auch den staatlichen Zivildienst in effektive Freiwilligendienste umzubauen.

 

Mit der erneuten Verkürzung der Wehrpflicht werden nun Freiwilligendienste als kurzfristig realisierbarer Ersatz für den auslaufenden Zivildienst diskutiert.


Aus unserer Sicht sollte angesichts dieser „historischen“ Gelegenheit die Chance ergriffen werden, die verschiedenen Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Regie zu übernehmen und sich zugleich grundlegende innovative Gedanken über deren Ausgestaltung zu machen.


Unser Vorschlag knüpft an die Leistungs- und Gestaltungsfähigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen an. Sie wollen und benötigen ihrem Selbstverständnis zu Folge in relevanten Aufgabenbereichen weder staatliche Vorgaben noch Anreize, um Beiträge für das Gemeinwohl zu erbringen. Sie erhalten damit die Gelegenheit, ihre eigenständige und eigensinnige Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, in dem sie das bürgerschaftliche Engagement (nicht nur) von jungen Menschen ohne staatliche Vorgaben und Restriktionen organisieren.


Die Entstaatlichung des Zivildienstes und von staatlichen Freiwilligendiensten ist zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich.

 

Denn mit dem absehbaren Ende der Wehrpflicht versucht der Staat, die gesetzlichen Grundlagen und administrativen Strukturen des staatlichen Zivildienstes – Bundesamt für den Zivildienst, Zivildienstschulen, Einsatzstellen – allenfalls leicht zu modifizieren und für die Organisation der Freiwilligendienste auf Dauer zu stellen. In dieser Entwicklungsperspektive würden die Freiwilligendienste eine noch stärkere staatliche Prägung erhalten als es bereits jetzt schon der Fall ist.

 

Mit zivilgesellschaftlicher Initiative kann eine fatale Entwicklung gestoppt werden.


Sie greift seit einigen Jahren in nahezu alle Bundesministerien Platz. In staatlicher Regie werden Freiwilligendienste unterschiedlichster Ausprägung aufgebaut.

 

So ist das Bundesfamilienministerium für das Freiwillige Soziale Jahr (32.500 Plätze), das Freiwillige Ökologische Jahr (2.211 Plätze) und für Auslandsdienste (ca. 2.000 Plätze) zuständig. Das Auswärtige Amt hat 2009 den Freiwilligendienst „kulturweit“ mit jährlich 400 Plätzen gestartet, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich 2008 mit „weltwärts“ einen eigenen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst mit geplanten 10.000 Einsatzstellen zugelegt.

 

Auch das Innenministerium will zusammen mit dem Technischen Hilfswerk (THW) einen Freiwilligendienst auf bauen. Die Pläne des Bundesministeriums für Forschung und Technologie mit einem freiwilligen technischen Jahr sind bisher allenfalls ansatzweise erkennbar.


Zu diesen Diensten kommen Modellprogramme, die den staatlichen Anspruch der Bundespolitik deutlich werden lassen, mit Freiwilligendiensten ein flächen-deckendes und umfassendes System eines dienstrechtlich geprägten bürgerschaftlichen Engagements einzuführen.

 

Das Familienministerium hat das Modellprogramm „Freiwilligendienste aller

Generationen“ entwickelt. Es hat zum Ziel, vor allem Senioren für einen Freiwilligendienst zu gewinnen. Das Modellprogramm „Freiwilligendienste machen kompetent“ dient vor allem dazu, Jugendliche ohne Schulabschluss zu gewinnen. Einsatzfelder sind in beiden Modellprogrammen die Wohlfahrtspflege insgesamt sowie insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe, die Familienhilfe sowie die Pflege.


Unverkennbar ist der Wille der Politik und der staatlichen Akteure, die Freiwilligen-
dienste flächendeckend und generationsübergreifend auszubauen. Deutlich werden dabei die latenten Bestrebungen einer staatlichen Indienstnahme des bürgerschaftlichen Engagements.


Mit dieser Entwicklung sind verschiedene Risiken verbunden. Unter der Hand mutiert das Kernelement dieser Dienste – die Freiwilligkeit des bürgerschaftlichen Engagements – zur staatsbürgerlichen Pflicht.

 

Je deutlicher es zu einem Ersatz des staatlichen Zivildienstes kommt, desto stärker wird die verpflichtende Struktur. Hinzu kommt, dass die staatliche Organisation (Überwachung, Zertifizierung, Finanzierung) ein Dienstverhältnis in den Mittelpunkt rückt, das dem zivilgesellschaftlichen Charakter widerspricht.

 

Es geht nicht um die Abwehr jeglicher Formen von Verbindlichkeit, sondern um die staatliche „Imprägnierung“ dieses Dienstverhältnisses, das vielfach jetzt schon dem Arbeitsverhältnis nachempfunden ist. Gleichzeitig liegt hierin die Gefahr, dass die vielfältigen und unterschiedlichen Formen bürgerschaftlichen Engagements in den gemeinnützigen Organisationen zu einer Art „abweichenden“ Engagements zweiter Klasse verkommen, wie sie nicht mehr der im geplanten Freiwilligengesetz staatlich normierten Variante eines ehrenamtlichen Helfens entsprechen.

 

Gerade die gemeinnützigen Organisationen mit ihren besonderen Themen, Zwecksetzungen und normativen Ausrichtungen sind es, die die
Selbstmobilisierung und -findung bürgerschaftlichen Engagements begründen.


Wir plädieren dafür, dass zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Chance ergreifen und nicht länger auf staatliche Entscheidungen und Direktiven warten. Sie haben die Ressourcen und Fähigkeiten solche Freiwilligeneinsätze (der genaue Gegenbegriff wäre noch zu entwickeln) – die nicht zwangsläufig ‚Dienste‘ genannt werden müssen – selbst zu organisieren.

 

Dies könnte bedeuten, die Selbstorganisations- und Selbststeuerungsfähigkeit
der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen weiter zu entwickeln und sich ein Stück weit aus staatlichen Abhängigkeiten zu befreien.

 

„Freiwilligeneinsätze“ in zivilgesellschaftlicher Regie können zu einer zivilgesellschaftlichen Selbstbildung beitragen. Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen diese Aufgaben übernehmen, dann bedeutet dieses auch, dass sie sich weiterentwickeln und sich intensiver den Themen Qualifizierung, Bildung und Einbeziehung von Freiwilligen widmen müssen. Diese neuen Formen des Freiwilligeneinsatzes böten auch die Möglichkeit, jungen Menschen Organisationen und Institutionen der Zivilgesellschaft mit ihrem spezifischen Eigensinn nahe zu bringen. Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen diese Chance ergreifen, dann gewinnen sie auch an Autonomie und Macht gegenüber den gegenwärtig allzu einseitigen Beziehungen zu den staatlichen Bürokratien.


Dass so etwas heute schon Praxis ist, zeigen die privatrechtlich organisierten Auslandsfreiwilligendienste mit mehr als 4.200 Plätzen, die von gemeinnützige Organisationen eigenständig und ohne staatliche Vorgaben angeboten werden.

 

 Freiwilligendienste
Der Autor: Dr. Rudolf Speth ist Politikwissenschaftler und vertritt den Lehrstuhl „Politisches System der BRD / Staatlichkeit im Wandel“ am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Er ist Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und lehrt an der Universität Münster im Studiengang „Nonprofit-Management und
Governance“. Er ist Publizist und schreibt als Kommentator regelmäßig für „Aktive Bürgerschaft aktuell“.
Kontakt: rudolf.speth@web.de



Berliner Think Tank Bürgergesellschaft:
Michael Alberg-Seberich, Holger Backhaus-Maul,
Gabriele Bartsch, Dr. Daniel Dettling, Dr. Warnfried Dettling,
Andrea Fischer, Peter W. Heller, Oswald Menninger,
Dr. Stefan Nährlich, Dr. Rudolf Speth, Rupert Graf Strachwitz,
Prof. Dr. Michael Vilain.


Mehr: www.freiwilligendienste-entstaatlichen.de

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