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21. Mai 2011 6 21 /05 /Mai /2011 01:16
 Protestbewegungen benötigen oft Jahrzehnte, um ihr Ziel zu erreichen – deshalb lohnt sich ein Blick auf strategische Modelle und Erfahrungswerte. Von Wiebke Johanning, Verden (Aller) # Am 1. Mai 2010 wurde im brandenburgischen Mirow vermutlich eine der fröhlichsten Beerdigungen begangen, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Begleitet von feierlicher Marschmusik wurde der lange geplante Luft- Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide, genannt Bombodrom, zu Grabe getragen. Symbolisch versteht sich – mit einem Sarg, vor dem ein Bild des Bombodrom-Geländes her getragen wurde. Auf den Schultern von Sargträgern und begleitet vom Applaus der ZuschauerInnen, wurde das Bombodrom Schritt für Schritt im Mirower See versenkt. »Für mich war das die tollste Feier unseres Erfolges«, sagt Ulrike Laubenthal. Und zu feiern gab es in der Tat genug – 17 lange Jahre hatten die Bürgerinitiativen vor Ort und Friedensbewegte aus ganz Deutschland gegen den Bombenabwurfplatz gekämpft. Mit Protestmärschen, gewaltfreien Aktionen und juristischen Verfahren wollten sie verhindern, dass die Bundeswehr hier unter anderem mit atomwaffenbestückten Tornados das Kriegführen übt. Ulrike Laubenthal, Gründerin der Werkstatt für Friedensarbeit »Sichelschmiede«, hat sich seit 2003 an diesem Widerstand beteiligt und konnte sich erst nicht so recht freuen, als die Bundeswehr im Juni 2009 bekannt gab, auf die Nutzung des Geländes als Bombenabwurfplatz zu verzichten. »Schließlich war damit ja noch kein kompletter Nutzungsverzicht verkündet.« Der folgte im April 2010, so dass wenige Tage später die fröhliche Trauerfeier stattfinden konnte. Das gestoppte Bombodrom ist ein Bewegungserfolg in Reinform, wie es ihn selten gibt. Häufig erzielen Protestbewegungen nur Etappensiege, erleben Rückschläge, verlieren an Zulauf, spalten sich oder lösen sich sogar ganz auf, ohne ihrem Ziel näher gekommen zu sein. Woran liegt es, dass manche Bewegungen erfolgreicher sind als andere? Welche Rolle spielen äußere Einflüsse? Was liegt in der Hand der Aktiven? Was nicht? Wie identifiziert man Erfolge eigentlich? Und wie können sich Bewegungen langfristig organisieren und Frust und Aussteigen der Aktiven verhindern? Zu diesen und anderen Fragen hat der Autor und Aktivist Bill Moyer 1986 ein Organisationshandbuch geschrieben – den »Movement Action Plan«, zu Deutsch »Aktionsplan für soziale Bewegungen«. Darin hat er seine langjährigen Erfahrungen in der USamerikanischen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung ausgewertet und die immer wieder auftretenden Entwicklungen und Dynamiken von Bewegungen in acht Phasen dargestellt, die diese innerhalb von Jahren oder Jahrzehnten durchlaufen. Das reicht von den Anfangszeit, in der eine neue Bewegung Missstände erst einmal öffentlich machen und das Versagen von Institutionen nachweisen muss, gefolgt von einem Anwachsen der Bewegung, bis zum auslösenden Ereignis, das die Öffentlichkeit erschüttert und der Bewegung zum Durchbruch verhilft. Sehr häufig folgt darauf nach Moyer eine Phase der Identitätskrise und das Gefühl der Machtlosigkeit, weil die Bewegung trotz breiter Unterstützung durch die Bevölkerung keine politischen Erfolge erzielt und die Herrschenden scheinbar unbeirrt ihren harten Kurs verfolgen. Doch wenn es Bewegungen gelingt, diese Krisenphase zu überstehen, Proteste langfristig zu organisieren und viele gesellschaftliche Gruppen einzubeziehen, können sie laut Moyer ihre Forderungen durchsetzen. Bill Moyer hat selbst darauf hingewiesen, dass diese acht Phasen eher ein analytisches Modell und kein starrer Ablaufplan sind, dass einzelne Phasen auch parallel ablaufen oder ganz entfallen können. Der Aktionsplan taugt also nicht als Schablone, in die sich alle sozialen Bewegungen hineinpressen lassen. Aber er taugt als Analyseinstrument, das aufzeigt, mit welchen Strategien PolitikerInnen versuchen, Protest zu ignorieren oder zu bekämpfen und mit welchen Strategien Bewegungen darauf reagieren können. Er macht deutlich, dass Bewegungen nach Hochphasen auch Flauten erleben und dass dies kein Scheitern der Bewegung bedeuten muss, sofern es gelingt, das Engagement aufrecht zu erhalten. Im Fall des Bombodrom-Widerstandes ist dies gelungen. Ulrike Laubenthal führt das auf mehrere Gründe zurück: »Zum einen waren die Leute in der Region existentiell bedroht. Außerdem wussten sie durch den Übungsbetrieb der Sowjetarmee seit den 50er Jahren, was auf sie zukommt. Sie haben sich nicht erzählen lassen: Das wird alles nicht so schlimm.« Wichtig seien auch die verschiedenen Formen des Widerstandes gewesen – von juristischen Einsprüchen, über direkte Aktionen zivilen Ungehorsams bis hin zu regelmäßigen Protestwanderungen der Bürgerinitiative. »Nur die eine oder andere Protestform allein hätte nicht gereicht. Die Kombination war wichtig«, sagt Ulrike Laubenthal. Während die Bombodrom-Bewegung den größten Erfolg schon eingefahren hat, steckt der Protest gegen Stuttgart 21 noch mitten in der kritischen Aktionsphase. Für Fritz Mielert von den Parkschützern ist offen, ob die Bewegung letztendlich scheitern wird oder erfolgreich sein wird: »Das weiß man erst, wenn die Koalitionsverhandlungen für die neue Landesregierung abgeschlossen sind.« Doch dass ein regionales Bauprojekt über Monate die Medien beherrscht, zehntausende Menschen zu Demonstrationen mobilisiert und bundesweit eine neue Debatte über Bürgerbeteiligung angestoßen hat, das können die Stuttgart-21-GegnerInnen in jedem Fall als Erfolg verbuchen. Diesen Erfolg führt Fritz Mielert auch auf eine klare Medienstrategie zurück: »Wir haben von Anfang an unsere Gewaltfreiheit betont und Journalisten bewusst Normalbürger als Gesprächspartner vermittelt, um weg zu kommen vom Chaoten-Image.« Er glaubt, dass andere Bewegungen von den Stuttgart-21-Protesten lernen können – nicht nur was die Medienarbeit angeht, sondern auch in Organisationsfragen. Seine Empfehlung an andere Bewegungen: »Öffnen, öffnen, öffnen. Es gibt nichts Besseres, als sich zu öffnen und loszulassen. Bei uns sind die Strukturen so durchlässig, dass immer wieder neue Leute einsteigen und sich reinarbeiten konnten«, sagt Fritz Mielert. »Es ist wunderbar zu sehen, dass es auch ohne einen selber geht.« Über mangelnden Zulauf kann sich auch die Anti-AKW-Bewegung zurzeit nicht beklagen. Hunderttausende beteiligen sich an Menschenketten und Demos, 250.000 Menschen gingen Ende März nach der Katastrophe in Fukushima in München, Köln, Berlin und Hamburg auf die Straße. Vielleicht befindet sich die Anti-AKW-Bewegung nach dem Aktionsplan von Bill Moyer schon kurz vor dem Durchbruch. Die Chancen auf einen Ausstieg aus der Atomenergie scheinen nach dem hektisch anberaumten Moratorium der Bundesregierung jedenfalls so groß wie nie. Ob der Ausstieg nach 40 Jahren Widerstand tatsächlich gelingt, hängt für Wolfgang Ehmke nicht von den Parteien, sondern von den Protesten ab: »Jetzt kommt es erst recht auf uns an. Jetzt müssen wir uns unter Beweis stellen«, sagt der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Stichtag ist für ihn der 15. Juni, wenn das Moratorium beendet ist und die vorläufig abgeschalteten AKW wieder anlaufen sollen. Die Planungen für die Protestaktionen laufen schon. Der jahrzehntelange Kampf gegen Atomkraft hat Wolfgang Ehmke aber auch eins gelehrt: »Man muss sehr geduldig sein. Protest ist so etwas wie das radikale Ferment einer Gesellschaft. Es braucht die Anstöße. Aber so eine Gesellschaft ist ein schwerer Dampfer.« Das Buch »Aktionsplan für soziale Bewegungen« von Bill Moyer ist beim Verlag Weber und Zucht erhältlich. Online-Bestellungen unter: http://zuendbuch.de/aktionsplan_fur_soziale_bewegungen Die englische Version des Textes findet man im Internet unter: www.indybay.org/olduploads/movement_action_plan.pdf 
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