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25. November 2018 7 25 /11 /November /2018 17:48

Die EU steht auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.

Heute möchte ich Sie gerne auf den außergewöhnlichen Aufruf aufmerksam machen, mit dem sich am Montag 34 israelische Akademikerinnen und Künstler kritisch gegen eine heute stattfindende Konferenz in Wien zu Wort gemeldet haben. Die österreichische Regierung hatte als Veranstalterin angekündigt: „Antisemitismus und Antizionismus stellen für Teile unseres heutigen Europas nach wie vor eine deutlich spürbare Plage dar, die das Leben der jüdischen Gemeinschaft in den Ländern der EU und das allgemeine Wohl in Europa bedroht. […] Sehr häufig findet Antisemitismus Ausdruck in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.

Gegen die Gleichsetzung von Kritik an israelischer Regierungspolitik und Antisemitismus wenden sich die Unterzeichner*innen des Briefes mit ihren Forderungen. Bemerkenswert ist der Aufruf unter anderem deshalb, weil sich damit jüdische Stimmen in die Debatte einschalten, von denen die Mehrzahl bisher nicht durch ihren politischen Aktivismus von sich Reden gemacht hat. Ihre Glaubwürdigkeit speist sich aus ihren Verdiensten als Bürger*innen des Staates Israel (darunter mehrere Träger*innen des renommierten Israel-Preis) und aus ihrem akademisch international anerkannten Renommee in der Erforschung und Lehre u. a. der jüdischen Geschichte, Philosophie und Holocaust-Studien.

Riad Othman

 

AUFRUF:

Zu Europa sagen wir: Vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus

Im Kontext ihres EU-Ratsvorsitzes wird die österreichische Regierung am 21. November eine hochrangig besetzte Konferenz unter dem Titel „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung jüdischen Lebens in Europa“ abhalten.

Wir unterstützen voll und ganz den kompromisslosen Kampf der EU gegen Antisemitismus. Das Erstarken des Antisemitismus erfüllt uns mit Sorge. Aus der Geschichte wissen wir, dass es oft Vorbote von Katastrophen für die gesamte Menschheit war. Das Erstarken des Antisemitismus ist eine reelle Gefahr und sollte der gegenwärtigen europäischen Politik ernsthaft zu denken geben.

Die EU steht aber auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hätte auf der Konferenz in Österreich sprechen sollen, bis er seine Reise absagte, um seine Regierung zu stabilisieren. Er hat hart daran gearbeitet, Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu einem zu vermischen.

Zu unserer tiefen Besorgnis sehen wir diese Vermischung auch in der offiziellen Ankündigung der Konferenz durch die österreichische Regierung. Dort heißt es: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“

Diese Worte geben die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) wieder. Mehrere Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus, die sich der Definition anschließen, beziehen sich auf harsche Kritik an Israel. Im Ergebnis kann die Definition gefährlich instrumentalisiert werden, um Israel Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet. Das schreckt jedwede Kritik an Israel ab.

Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie nicht-Juden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Demgegenüber unterstützten viele Antisemiten den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Staat Israel seit über 50 Jahren eine Besatzungsmacht ist. Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern unter Besatzung entbehren ihrer Grundrechte, Freiheit und Würde. Gerade in Zeiten, in denen die israelische Besatzung sich in Annexion verwandelt, ist es notwendiger denn je, dass Europa alle Versuche entschieden ablehnt, die freie Meinungsäußerung anzugreifen oder Kritik an Israel durch die falsche Gleichsetzung mit Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Europa muss dies auch für die eigene Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit ihrer Bekämpfung des Antisemitismus tun. Die Ausweitung dieses Kampfes zum Schutz des israelischen Staates vor Kritik trägt zu der Fehlwahrnehmung bei, dass Jüdinnen und Juden mit Israel gleichzusetzen seien und deshalb verantwortlich für die Handlungen dieses Staates wären.

Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet.

Professor Gadi Algazi, Abteilung für Geschichte, Universität Tel Aviv.  und weitere 33 Akademikerinnen und Künstler

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22. November 2018 4 22 /11 /November /2018 18:24

Clemens Ronnefeldt machte deutlich, dass 2011 nach anfänglich gewaltfreien Protesten in Syrien für mehr Demokratie die Protestbewegung sehr bald von ausländischen Kräften militarisiert wurde.

Er plädiert heute für eine UN-Friedenskonferenz in der Schweiz sowie eine Unterbrechung des Nachschubs von Waffen und Kämpfern für beide Seiten.

Über die Lage im Mittleren Osten hat Clemens Ronnefeldt, Friedensreferent des Internationalen Versöhnungsbundes, bei Pax Christi und der DFG-VK Gruppe Neckar-Fils in Kirchheim gesprochen. Gleich zu Beginn des Vortrags wurde deutlich, wie komplex die Situation im Nahen und Mittleren Osten ist.

Rund 400 Jahre lang gehörte Syrien zum Osmanischen Reich, bis dieses mit dem ersten Weltkrieg zerfiel, danach wurde es bis zur Unabhängigkeit 1943 französisches Mandatsgebiet. „Die Willkürlichkeit der damaligen Grenzziehungen mit dem Lineal wirken spannungsreich bis heute nach“, so der Referent, „die arabische Bevölkerung wurde mit ihren Interessen nicht berücksichtigt.“

Friedensreferent Clemens Ronnefeldt sprach über die Lage im Mittleren Osten.

Er warnte vor einem Regimewechsel im Iran und forderte dazu auf, auch nach dem von Trump gekündigten Atomabkommen weiterhin mit Iran Geschäfte zu machen, um der Zivilbevölkerung eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten.pm

Quelle: https://www.teckbote.de/startseite_artikel,-plaedoyer-fuer-beziehungen-mit-dem-iran-_arid,222847.html

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22. August 2018 3 22 /08 /August /2018 22:49

Nachdem ich bereits viele Jahre Texte von ihm gelesen hatte, lernte

ich im Oktober 2006 Uri Avnery bei einer gewaltfreien Demonstration

gegen die Sperranlage nahe dem Dorf Bilin, unweit von Ramallah,

persönlich kennen. Uri, bereits damals im hohen Alter von 82 Jahren,

war zusammen mit seiner Frau Rachel gekommen, um als israelischer

Staatsbürger solidarisch mit anderen israelischen, palästinensischen

und internationalen Friedensbewegten gegen den Landraub an der

palästinensischen Dorfgemeinschaft Bilin zu protestieren, die durch

die Sperranlage rund die Hälfte ihrer landwirtschaftlichen Fläche

verloren hatte. Uri stand an der Nahtstelle der Gewalt, dort, wo die

israelischen Soldaten von ihren Militärfahrzeugen herunter Tränengas

verschossen auf die andere Seite der Sperranlage, wo Uri zusammen mit

den Demonstrierenden stand. Er reichte mir eine Zwiebel und empfahl

mir, kräftig daran zu riechen - damit durch den Tränenfluss das

Tränengas schneller aus den Augen entweichen könne.



Einige Monate vor unserer Begegnung hatte im März 2006 der

rechtsextreme Aktivist Baruch Marsel die israelische Armee zur

"gezielten Tötung" von Uri Avnery aufgerufen.



1923 wurde Uri Avnery in Hannover als Helmut Ostermann geboren. Mit

Beginn der Nazi-Diktatur 1933 begaben sich seine Eltern mit ihrem

zehnjährigen Sohn auf die Flucht nach Palästina. Schon mit 15 Jahren,

im Jahr 1938, schloss er sich der Untergrundbewegung "Irgun" an, die

mit Terroranschlägen die britische Besatzungsmandat abschütteln

wollte. Er genoss als Jugendlicher, wie er später schrieb, das

Verbotene: Mit einer Waffe unter seiner Kleidung an britischen

Soldaten unentdeckt vorbeizugehen. Erst mit 19 Jahren nahm er den

Namen Uri Avnery an.



Während des israelisch-arabischen Krieges nach dem UN-Teilungsplan

1947 und der Staatsgründung Israels 1948 wurde Uri schwer verwundet.

Er schrieb das Kriegstagebuch "Auf den Feldern der Philister", das zum

Bestseller wurde und seine persönliche Wandlung vom gewaltsamen

Krieger zum Kämpfer für den Frieden einleitete.



Von 1950 bis 1990 war Uri 40 Jahre lang ununterbrochen Herausgeber und

Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Haolam Haseh" ("Diese Welt").

1975 überlebte er einen Mordanschlag, bei dem er mit einem Messer

schwer verletzt wurde. Auch durch Bombenanschläge auf die

Redaktionsräume ließ er sich nicht von seiner Überzeugung eines

gerechten Nahostfriedens abbringen und bezeichnete sich selbst als

„Optimisten von Natur" aus. In den Jahren 1965 bis 1981 saß Uri in drei

Legislaturperioden als Parlamentarier in der Knesset für kleinere

linke Parteien, die es heute nicht mehr gibt.



Als erster israelischer Staatsbürger überhaupt traf er sich während

des Libanonkrieges 1982 in Beirut zum ersten Mal mit Jassir Arafat,

damals Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Uri

riskierte eine Anklage wegen Hochverrats, weil damals Kontakte mit der

PLO noch verboten waren. Im Jahre 2003, während der blutigen zweiten

Intifada, ging Uri als menschliches Schutzschild nach Ramallah, um den

im palästinensischen Regierungsgebäude unter israelischem Beschuss

stehenden Jassir Arafat mit seiner Präsenz zu unterstützen.



Im Jahre 1992 gründete Uri den "Friedensblock" (Gush Schalom), um den

Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern, der 1991 durch

eine Konferenz in Madrid sowie die darauf folgenden Oslo-Verhandlungen

Fahrt aufgenommen hatte, Unterstützung zu geben.



Wie bei fast allen größeren historischen Ereignissen in Israel war Uri

persönlich anwesend: Beim Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer

Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 ebenso wie bei der Ermordung Jitzchak

Rabin 1995 in Tel Aviv durch einen israelischen Extremisten - was zum

"Sargnagel" der in Oslo anvisierten Zweistaatenlösung wurde, für die

Uri sein langes Leben lang eintrat.



Im Jahr 2001 erhielt er - zusammen mit seiner 2011 verstorbenen Frau

Rachel, mit der er 58 Jahre verheiratet war - den Alternativen

Nobelpreis.



Jede Woche verfasste Uri einen Essay, den er an unzählige Personen

weltweit verschickte, mit denen er in Kontakt stand und von

Freundinnen und Freunden in verschiedenen Ländern übersetzt wurde. Er

griff darin aktuelle friedenspolitische Themen auf, die er in

unnachahmlicher Weise mit historischen Ereignissen verknüpfte.



Am 7. August 2018 schrieb er seinen letzten Artikel für die

Tageszeitung "Haaretz" und kritisierte darin das neue

Nationalstaatsgesetz, das nur jüdischen Menschen in Israel

Selbstbestimmung gewährt. Kurz danach erlitt er einen Schlaganfall und

fiel ins Koma. Am 20. August 2018 starb er in einem Krankenhaus in Tel

Aviv.



Die Friedensbewegung - nicht nur in Israel, sondern weltweit -

verliert mit seinem Tod einen Menschen, der trotz aller Widerstände

nie aufgegeben hat, für den Frieden einzutreten und dadurch Vorbild

bleiben wird.



Eine ausführliche Würdigung des Lebenswerkes von Uri Avnery hat Roland

Kaufhold geschrieben - zu lesen unter:    http://www.hagalil.com/archiv/2008/09/avnery.htm




Clemens Ronnefeldt,

Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes

www.versoehnungsbund.de

Spendenkonto für die Arbeit des
Versöhnungsbund-Friedensreferates:

Kontoinhaber: Versöhnungsbund e.V.

IBAN DE40 4306 0967 0033 6655 00

Stichwort: Friedensreferat/C. Ronnefeldt

 

siehe auch:

Der Aufstand in Ägypten wurde durch wirtschaftliche Faktoren bestimmt

 

Sterben Palästinenser und Israelis jetzt für Netanyahus Wahlkampf?

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18. Mai 2018 5 18 /05 /Mai /2018 20:00

Nach den Ereignissen gestern, bin ich nun sprachlos, fassungslos, machtlos, ohnmächtig. Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so recht, wie ich in Worte fassen kann, was in mir vorgeht, was ich zum Ausdruck bringen möchte. Denn es ist gestern ein Verbrechen/Blutbad geschehen, es wurde ein Massaker verübt, das zum Himmel schreit.

Die Täter sind die Soldaten und Befehlshaber und letztlich die Regierung „der einzigen Demokratie im Nahen Osten“.

Die Opfer sind die unbewaffnet demonstrierenden Palästinenserinnen und Palästinenser an der von Israel festgesetzten Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel. Die Demonstranten mit leeren Händen, nur mit Mut und Courage ausgerüstet. Sie tragen keine Schutzanzüge, keine Gewehre, keine Zielfernrohre wie die Soldaten auf der anderen Seite.

Diesen Soldaten wurde kein Haar gekrümmt, keiner von ihnen wurde verletzt. Aber sie
schießen auf Männer, Frauen und Kinder. Es gibt Videos, in denen zu hören ist, wie sie sich über einen „Treffer“, einen Erschossenen freuen. Das ist so unglaublich menschenverachtend, dass ich laut schreien möchte.

Seit fast 12 Jahren leben wir im größten Freiluftgefängnis der Welt.

Wie der Alltag in diesem Gefängnis aussieht, habe ich Ihnen schon oft beschrieben. Strom bekommen wir vier Stunden täglich, das Wasser aus der Leitung ist sehr salzig oder mit Abwasser vermischt, also ungeeignet um zu duschen oder um Gemüse oder Obst damit zu waschen.

Die Jugendlichen haben keine Hoffnung, sie sehen keine Perspektive, sie sehen sich auch als Opfer der Besatzung, der Abriegelung und der zerstrittenen palästinensischen Gruppen. Inzwischen sind fast 70% von ihnen arbeitslos. Die Jugendlichen kennen nichts anderes als das Leben mit permanenten Problemen, denn mal mangelt es an Brennstoffen bzw. Kochgas, mal an Grundnahrungsmitteln, vor allem auch an Medikamenten.

Und die Familienmitglieder, die überhaupt Arbeit haben, bekommen oft ihr Gehalt nicht. Es ist ein Leben, das nicht nur zornig und wütend macht, sondern das auch krank macht, oft genug körperlich krank aber vor allem psychisch krank.

Gestern bin ich am Rande der Demonstration in Gaza Stadt gewesen. Ich habe die vielen Menschen gesehen, junge und alte Menschen, Männer und Frauen, auch Kinder mit ihren
Eltern. Danach kehrte ich heim und kaum war ich Zuhause, da erfuhr ich, dass der 17 Jahre alte Sohn meiner Cousine erschossen worden war.

Danach kamen Meldungen, dass weitere Verwandte von mir verletzt wurden. Einige hatten Schusswunden an den Beinen, andere an der Brust und weitere hatten Bauchschüsse erlitten.
Manche von ihnen wurden sofort in den Krankenhäusern operiert, andere warten darauf, ins Ausland verlegt zu werden, denn es fehlen geeignete medizinische Geräte oder Medikamente.

Ob man sie aus Gaza raus lässt, weiß ich nicht.

Ich lief sofort los, um meine Verwandten im Krankenhaus zu besuchen. Es fällt mir immer schwer, ein Krankenhaus zu betreten, aber was ich diesmal sah, das übersteigt alles, was man sich vorstellen kann. Verletzte in den Gängen, überall Blut, die Patientenräume überfüllt.
Während ich schreibe, klingen mir noch das Stöhnen und die Schmerzensschreie in den Ohren. Ich konnte sehen, wie sehr die Ärzte und das gesamte Personal alles taten, was in ihrer Macht stand, um zu helfen, um in all diesem Elend zu funktionieren.

Über 2700 Menschen sind verletzt worden. Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, so viele
Verletzte zu versorgen. Das ist selbst in einer Stadt in Deutschland kaum möglich.

60 Menschen wurden erschossen, 60 Menschen ließen ihr Leben, während die Welt die fröhlichen Gesichter der Regierungen, die in Jerusalem feierten, im Fernsehen sehen konnte.

Unser Leid interessiert die Welt nicht. Die, die sowieso auf der Seite der fröhlichen Gesellschaft stehen, die mit ihnen, was auch immer sie tun, uneingeschränkt sympathisieren, geben den zynischen Rat, dass wir still sein sollen, dass wir uns damit abfinden sollen für alle Zukunft unter Besatzung zu leben.

Ein Bruder von mir arbeitet im Krankenhaus und sagte mir, ich möge doch nach Hause gehen, denn der Anblick dieses Elends könne ich nicht ertragen. Wie recht er hatte. So blieb ich nur kurz bei meinen Verwandten und machte mich auf den Heimweg. Ich weiß gar nicht mehr,
wie das war. Ich lief wie ein Automat. Alles ging mir durch den Kopf.

Zu Hause angekommen, fiel ich sofort ins Bett. Ich fühlte mich ganz elend. Aber das Einschlafen war sehr schwer, denn weder die Bilder der Verletzten aus dem Krankenhaus konnte ich verdrängen noch den Geruch vom Blut konnte ich loswerden. Heute war ich dann bei den Familien der Erschossenen, um ihnen mein Beileid zum Ausdruck zu bringen.

Die Toten sind nun begraben. Und sie werden nicht zum Leben erweckt werden. ABER
was ist mit den vielen Verletzten?

Wie werden sie ihr Leben weiterführen können, wenn ihre Beine amputiert wurden oder wenn sie gelähmt werden oder wenn sie nicht mehr sehen oder hören können. Die Mehrheit der Verletzten ist unter 30 Jahre alt. Und sie haben nun kaum eine Zukunft vor sich.

Gewalt erzeugt Gegengewalt, das ist bekannt. Jeder Präsident bzw. Regierungschef muss alles tun, um sein Land zu beschützen. Das ist auch bekannt. Nun stelle ich aber Fragen, auf die ich keine Antwort habe:

- Ist der Einsatz von diesen Waffen gegen zivile und unbewaffnete Demonstranten legitim bzw. rechtens?

- Sind unbewaffnete Demonstranten so gefährlich für die Sicherheit einer Besatzungsarmee, die zur stärksten der Welt gehört?

- Gibt es keine anderen Wege, auf Demonstrationen zu reagieren als mit scharfer Munition gezielt zu schießen?

- Was sagte das internationale Gesetz?

- Darf sich ein Land ungestraft über internationale Gesetze und Menschenrechte hinwegsetzen?

- Handelten die schwer bewaffneten Besatzungssoldaten tatsächlich aus „Notwehr“, wie sie behaupten? Wurde auch nur einer der Besatzungssoldaten verletzt?

- Darf ein Land ein anderes Land 50 Jahre und mehr einfach besetzen und das Leben der Menschen unerträglich machen? Ist es nicht Aufgabe der Weltgemeinschaft, dem Einhalt zu gebieten?

- Wie kann es sein, dass der deutsche Bundesaußenminister sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen will, aber wenn es um die Menschenrechte der Palästinenser geht, dann schweigt er?

- Im ersten Absatz des deutschen Grundgesetzes heißt es „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ich will nichts mehr als in Würde, in Ruhe und in Frieden mein Leben leben und es gestalten, wie ich es mag und nicht wie eine andere Macht oder wie der Stärkere es mir vorschreibt.

Mit dieser extremen Gewalt seitens der Besatzung kann kein Frieden entstehen und solche unmenschlichen Kollektivstrafmaßnahmen werden weder uns, noch unseren Nachbarn Frieden bringen. Zum Thema der Verlegung der US-Botschaft von Tel-Aviv nach Jerusalem
werde ich in meiner nächsten Mail schreiben. Heute musste ich erst einmal loswerden, was ich gestern hautnah erlebt habe.

Mit traurigen Grüßen aus Gaza
Ihr Abed Schokry

Bitte beachten: die Beiträge auf diesem Blog geben die Meinung ihrer Verfasser wieder und sind nicht zu verstehen als Ausdruck der Positionen der Betreiber diese Blogs.

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11. September 2013 3 11 /09 /September /2013 00:08

Weltweit herrschen Trauer und Entsetzen über den Giftgas-Anschlag in Syrien. Dieses Kriegsverbrechen mit geächteten Waffen, durch das Hunderte von Toten, Tausende von Verletzten zu beklagen sind, muss sofort aufgeklärt werden. Die Schuldigen gehören vor den Internationalen Gerichtshof.

Der Giftgas-Anschlag ist entsetzlicher Ausdruck einer massiven Brutalisierung und Militarisierung des syrischen Aufstands, die von vielen Seiten betrieben wird - so vom syrischen Regime, konservativen Golfstaaten, djihadistischen Akteuren und von Staaten, die die Rebellion für ihre regionalen und globalen Machtinteressen instrumentalisieren.

Der syrische Krieg begann als Aufstand gegen ein extrem repressives, auf Unterdrückung bauendes Regime, das die syrische Gesellschaft sozial spaltet, indem es die Wirtschaft dereguliert, das Sozialsystem abbaut und die ländliche Entwicklung vernachlässigt. Die in mehreren Regionen Syriens sich entwickelnden emanzipatorischen Ansätze geraten zwischen die Mühlsteine der Militarisierung.

Attac fordert die Bundesregierung auf, jede direkte und indirekte Kriegshilfe zu verweigern und sich aktiv für Friedensverhandlungen unter Einbeziehung aller Kräfte der Region einzusetzen.

Die Bundesregierung soll darüber hinaus unmissverständlich darauf drängen, dass sich kein EU-Mitgliedsstaat an der drohenden militärischen Intervention beteiligt. Eine taktische Verweigerung von Unterschriften reicht in keiner Weise.

Waffenlieferungen an die syrischen Kriegsparteien müssen international verboten werden. Das gilt auch für die zynische Eskalation des syrischen Krieges durch deutsche Waffenexporte nach Saudi Arabien und in andere Golfstaaten.

Und Schluss mit der Abschottungspolitik! Europa muss jetzt seine Grenzen für alle Flüchtlinge aus Syrien öffnen und Deutschland muss viel mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Attac unterstützt die Proteste der Friedensbewegung. Wie viel die Friedensbewegung erreichen kann, hat die „Stop the War Coalition“ in Großbritannien gerade gezeigt.

Die syrische Bevölkerung braucht keine Bomben. Sie braucht Lebensmittel, Medikamente, Flüchtlingshilfe und die Unterstützung der – trotz des brutalen Krieges – bestehenden emanzipatorischen Ansätze der Zivilgesellschaft. Vor allem braucht sie einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Bomben schaffen keinen Frieden.

Quelle: http://kurzlink.de/Erklaerung_Syrien

--

UN-Inspektoren bestätigen Sarin-Einsatz- Schuldfrage bleibt ungeklärt

Der UN-Bericht wird den Einsatz von Sarin oder verwandter Substanz bestätigen, aber keine Angaben über die Verursacher des Verbrechens machen.

Von Andreas Zumach

Seit mehr als zwei Wochen spricht die US-Regierung von konkreten und eindeutigen Beweisen dafür, dass die syrische Assad-Regierung für den Giftgaseinsatz vom 21. August verantwortlich ist - unter anderem durch Satellitenbilder und abgehörte Gespräche zwischen Mitgliedern der politischen und militärischen Führung in Damaskus. Doch bis heute wurde keiner dieser Beweise der Öffentlichkeit oder in geschlossener Sitzung dem UN-Sicherheitsrat präsentiert.

Der Stabschef im Weißen Haus, Denis McDonough, räumte am Sonntagabend gegenüber dem TV-Sender CNN ein, dass die USA keine Beweise "jenseits vernünftigen Zweifels" hätten, wie man sie zur Verurteilung in Gerichtsprozessen benötigt.

Auf der anderen Seite haben auch die Regierungen Syriens und Russlands bis heute keine Belege für ihre Behauptung vorgelegt, syrische Rebellen seien für den Giftgaseinsatz vom 21. August verantwortlich.

Klarheit über die Täterschaft wird auch der Bericht der UN-Inspekteure nicht erbringen, mit dessen Vorlage frühestens für das kommende Wochenende zu rechnen ist.

Nach Informationen der taz wird der Bericht lediglich eine der vier Fragen, die für die Bestimmung der Täterschaft relevant ist, klar beantworten: Am 21. August wurden verbotene Chemiewaffen eingesetzt - entweder Sarin oder ein ähnlich wirkendes Nervengift. Das ergab die Analyse von Bodenproben und von Körperflüssigkeiten der Opfer des Giftgaseinsatzes, die in mehreren von der UNO beauftragten Speziallabors vorgenommen wurden.

Ein eindeutiger Beweis sind auch die stark verengten Pupillen der Opfer, die auf zahllosen Videoaufnahmen zu sehen sind und die von dem medizinischen Personal mehrerer Krankenhäuser gegenüber den UN-Inspekteuren bezeugt wurden.

Ob die von den Inspekteuren gesammelten Munitionsteile sichere Rückschlüsse auf die Art der Trägerwaffen zulassen, mit denen das Giftgas verschossen wurde, wird derzeit noch untersucht. Bei Raketen und Bomben kämen nur die Regierungsstreitkräfte als Täter infrage, bei Artilleriegranaten auch die Rebellen.

Offene Fragen

Keine Aussage wird der UN-Bericht zu den beiden Fragen machen, von wo und von wem die Trägersysteme mit dem Giftgas verschossen wurden.

Damit bleiben auch Versionen des Geschehens vom 21. August denkbar, für die bereits Ende August die in Dubai erscheinende Zeitung The National eine Reihe von Indizien lieferte.

Danach habe die 155. Brigade der syrischen Regierungsstreitkräfte unter General Ghassan Abbas am 21. August mindestens fünf Giftgasgranaten auf von Rebellen gehaltene Orte östlich von Damaskus abgefeuert.

Dabei habe General Abbas entweder auf eigene Faust und ohne Befehl von oben gehandelt, oder aber er und seine untergebenen Kommandeure hätten nicht gewusst, dass die Granaten mit Giftgas gefüllt waren, schrieb The National unter Berufung auf eine sehr gut vernetzte Familie mit Kontakten zum syrischen Regime und zur Opposition. Beide Varianten dieser Version könnte Assad nicht eingestehen, weil damit klar würde, dass er nicht mehr die volle Kontrolle über seine Armee hat.

Keine Angaben über Anzahl der Toten

Auch zur Frage der Gesamtzahl der Todesopfer wird sich der UN-Bericht nicht äußern. Hier schwanken die Angaben noch immer erheblich. So spricht die US-Regierung von 1.429 Toten an zwölf Orten zumeist östlich von Damaskus.

Das deckt sich mit Angaben der vom Westen unterstützten oppositionellen Syrischen Nationalen Koalition.

Von der Nachrichtenagentur AP nach Namen gefragt, stellte die Koalition allerding nur eine Liste von 395 Opfern zur Verfügung. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die nur namentlich identifizierte Opfer zählt, kommt bisher auf 502 Tote.

Chemiewaffen abgeben

US-Außenminister John Kerry hat am Montag die syrische Regierung aufgefordert, binnen einer Woche alle seine chemischen Waffen der internationalen Gemeinschaft auszuhändigen. Auf diese Weise könne ein US-Militärschlag gegen das syrische Regime verhindert werden, sagte Kerry in London.

Dem schloss sich der russische Außenminister Sergei Lawrow an. So könne ein US-Angriff möglicherweise noch gestoppt werden, sagte er. Russische Nachrichtenagenturen melden, dass sogar der syrische Aussenminister Walid al-Muallim die Initiative begrüßt haben soll.

Später erklärte das State Department zu Kerrys Rede, dieser habe seine Äußerung nur rhetorisch gemeint. Der US-Außenminister habe darauf abgezielt, dass diesem Diktator nicht zugetraut werden kann, die Waffen zu übergeben: "Sonst hätte er das schon längst getan."

Quelle: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/008128.html

siehe auch: Aufruf: Nein zu einer Militärintervention in Syrien

- http://www.ippnw.de/aktiv-werden/kampagnen/syrien-aufruf.html

- Jürgen Todenhöfer: Der nächste Lügenkrieg?


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29. August 2013 4 29 /08 /August /2013 08:50

Ein solcher Eingriff kann der letzte Beweis für das Scheitern eines "demokratischen Interventionismus" werden. Auch die Bilder toter Kinder sollten dem Westen nicht das Gesetz des [militärischen] Handelns aufzwingen. (Diese Fotos aus Syrien erschütterten die Welt. Sind diese Kinder wegen eines Giftgas-Einsatzes gestorben? Wer ist schuld daran? Die Fragen bleiben noch offen).

Die Bilder toter Kinder treiben einem die Tränen in die Augen, sie beflügeln den Wunsch, etwas zu tun. Sofort. Und genau dazu sollen die Bilder auch dienen. Von welcher Seite auch immer der Giftgasangriff ausgegangen ist: Er soll das moralische Vermögen der Menschen in den westlichen Ländern bis zur Empörung aufrühren. Gewünscht ist die Eskalation.

Nur wer kalten Herzens ist, kann sich den Bildern entziehen. Und doch sollte in Fragen von Krieg und Frieden nicht das Herz, sondern der Verstand sprechen. Denn was immer geschehen ist und wer immer es getan hat: Es ist Teil einer Propaganda, die Brandbeschleuniger auf einen bislang noch regional glimmenden Brandherd gießt.

Früher genügte der Kriegspropaganda noch die bloße Behauptung, der Feind vergewaltige Frauen und töte Kinder. Heute müssen Bilder von realen Opfern her. Es ist längst nicht mehr ausgeschlossen, dass die Kombattanten schon selbst dafür sorgen, dass die Gräueltaten auch begangen werden, die sie ihrem Gegner anlasten. Sie können sich auf die Moral der Menschen im Westen verlassen: Bei Bildern toter Kinder fragen wir nicht mehr nach Nutzen und Kosten, nach der Vereinbarkeit einer Intervention mit militärischen Möglichkeiten oder gar den eigenen Interessen. Moral entgrenzt. Und genau das ist ihr Problem.

"Nie wieder Auschwitz" ist keine Begründung

Moralisierung macht jede Intervention zum Krieg des Guten gegen das Böse – als ob es eine solche eindeutige Frontstellung jemals geben könnte. Die Begründung des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer für eine Intervention im Kosovo im Jahre 1999 – "Nie wieder Auschwitz" – war so bestechend wie falsch. Der Krieg gegen Hitler ging nicht um Auschwitz. Und im Kosovo ging es darum erst recht nicht. Das moralische Argument, und das sollten alle Empörten bedenken, dient meist nur dazu, die weit weniger großartigen Interessen zu verdecken, die in Kriegsangelegenheiten eine Rolle spielen.

Ja, die Lage in Syrien ist furchtbar. Aber der Ruf "Warum tut der Westen nichts dagegen?" ist ebenso hilflos wie größenwahnsinnig. Denn wem eine Einmischung letztlich dient, ist völlig unklar. Dem unterdrückten Volk? Dem zuletzt. Den Rebellen gegen Assad? Welchen? Wer 1968 in Deutschland gegen den Schah von Persien demonstriert hat, dürfte keine große Freude an seinen Nachfolgern haben.

Wer sich erinnert, ist gründlich desillusioniert, was den "Volkskrieg" und die "Solidarität" für selbst ernannte Befreiungsbewegungen betrifft. Auch in Syrien ist aus dem legitimen Widerstand gegen einen Diktator längst offener Bürgerkrieg geworden, ohne Legitimation und Legitimität, und die Leidtragenden sind das "Volk", die vielen Unbeteiligten, die, wie in jedem Bürgerkrieg, zwischen zwei Feuern stehen.

Wer reingeht, muss auch wieder rauskommen

Der menschenrechtlichen Argumentation zufolge kann man nicht tatenlos hinnehmen, wie Diktatoren mit ihren Gegnern verfahren. Wer dächte das nicht. Das Völkerrecht hingegen verbietet jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Staaten. Warum? Weil es den benachbarten Gegnern ein Einfallstor bietet, die sich zu Hilfe aufgerufen fühlen.

Das ist ja auch längst geschehen: Benachbarte Golfstaaten haben Aufständische mit Waffen beliefert, sicher nicht, weil sie plötzlich Freunde der Demokratie geworden sind. Doch der Westen, worauf der Rechtsphilosoph Reinhold Merkel jüngst hinwies, hat den reinen Seelen der Arabischen Liga sein Placet gegeben. Die Folge: Der Bürgerkrieg und das Elend der Unbeteiligten verlängern sich.

Das Dilemma ist hässlich und hält keine einfache Antwort bereit. Letztendlich entscheidet ein Kernsatz militärischen Abwägens: Wer reingeht, muss auch wieder rauskommen. Und: Kein Krieg sollte mehr Probleme hinterlassen, als er zu lösen vorgibt. Demzufolge aber verbietet sich eine Intervention in Syrien.

Nur Kapitulation oder Vernichtung möglich

Die Geschichte hält neben Vietnam und Afghanistan zahllose Beispiele dafür bereit, dass es auch beim Einsatz höchster militärischer Mittel einer Weltmacht misslingen kann, einen Bürgerkrieg zu befrieden. Aus einem einfachen und brutalen Grund: In einem Bürgerkrieg gibt es nicht, wie im Staatenkrieg, die Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens. Es muss sich, und das weiß man in den USA sehr gut, die ja aus einem Bürgerkrieg hervorgegangen sind, eine einzige Seite machtvoll durchsetzen. Das erfordert den Untergang der anderen Seite – sei es durch bedingungslose Kapitulation oder durch Vernichtung.

Kann sich ein demokratischer Staat zu einer solchen Entscheidung über das Leben anderer aufgerufen fühlen? Der Vietnamkrieg hat die innere Textur der Vereinigten Staaten auf Jahre hin zermürbt. Das haben auch diejenigen nicht vergessen, die Obama nun zum Handeln drängen. Sie verfolgen im Zweifelsfall eigene Interessen: nämlich einen zaudernden Präsidenten vorzuführen, der sich, weil er permanent rote Linien zieht, irgendwann gezwungen sehen könnte, sie zu überschreiten.

Dann soll eben Europa ran, Frankreich, England, Deutschland? Frankreichs Präsident François Hollande winkt schon mit der militärischen Karte, ein anderes Blatt hat er nicht mehr in der Hand.

Die Deutschen halten sich raus

Die Deutschen? Halten sich, wie immer, lieber raus. Oder waltet bei uns gar die Vernunft? Denn in der europäischen Tradition der Staatenkriege wurde dem Verhandlungsfrieden auch mit dem ärgsten Gegner stets der Vorzug gegeben gegenüber der Ächtung des Feindes und der unendlichen Verlängerung des Konflikts zulasten der Bevölkerung.

Auch die schrecklichsten Bilder sollten dem Westen nicht das Gesetz des Handelns aufzwingen. Syrien wäre der letzte und womöglich blutigste Beweis für das Scheitern eines "demokratischen Interventionismus".

Quelle: Cora Stephan: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article119405148/Muss-der-Westen-in-Syrien-eingreifen-Nein.html

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30. April 2013 2 30 /04 /April /2013 18:09
Zwei Verweigerer in USA in Haft.

Die US-Kriegsdienstverweigerin Kimberly Rivera wurde gestern vom Militärgericht in Fort Carson zu 14 Monaten Haft und unehrenhafter Entlassung wegen Desertion verurteilt. Aufgrund einer Vereinbarung im Vorfahren muss sie zehn Monate in Haft bleiben. Kimberly Rivera war nach Kanada geflüchtet, um nicht wieder im Irakkrieg eingesetzt zu werden.

"Wieder einmal geht die US-Militärjustiz mit besonderer Härte gegen diejenigen vor, die sich einem Kriegseinsatz entzogen, der für viele US-SoldatInnen fragwürdig war", erklärte Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. heute. "Gerade bei denjenigen, die versuchten, in einem anderen Land Schutz zu finden, werden Exempel statuiert."

Kurz vor der Verlegung ihrer Einheit in den Irak im Oktober 2006 waren Kimberly Rivera Zweifel an dem Einsatz gekommen. Bei einem Heimaturlaub in den USA im Januar 2007 beschloss sie, nicht länger am Krieg im Irak oder einem anderen Konflikt teilzunehmen. "Als ich mit dem Militärpfarrer über meine moralischen Gründe sprach", schilderte sie vor wenigen Tagen ihre Situation im Militär, "wurde mir keine Alternative und keine Hilfe angeboten. Ich wusste nichts von der Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, weil die Informationen dazu nicht zur Verfügung standen, zumindest nicht für mich. Ich erhielt trotz meiner Bedenken keine Frist – und nun, da ich von der Dauer eines Verfahrens zur Kriegsdienstverweigerung weiß und wie viel später eine Anerkennung oder Ablehnung ausgesprochen wird, muss ich sagen, dass dies jeden entmutigen würde."

Im Februar 2007 ging Kimberly Rivera mit ihrer Familie nach Kanada und beantragte dort Asyl. Nach Ablehnung des Asylantrages wurde sie am 20. September 2012 aus Kanada in die USA abgeschoben und damit auch von ihren vier Kindern und ihrem Ehemann getrennt. An der Grenze wurde sie umgehend von den US-Militärbehörden inhaftiert und einige Tage später in das Militärgefängnis in Fort Carson, Colorado, überstellt.

Weiterer Verweigerer in Haft

Bereits am 22. März 2013 war ein weiterer US-Kriegsdienstverweigerer, der ebenfalls in Kanada Schutz gesucht hatte, zu 15 Monaten Haft verurteilt worden. Aufgrund einer Vereinbarung im Vorverfahren muss Justin Colby neun Monate in Haft bleiben. Er war vor seiner Flucht nach Kanada von seinem Vorgesetzten unter Druck gesetzt worden, keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. So schrieb er vor seinem Prozess: "Ich wollte einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Mein Hauptfeldwebel ließ mich daraufhin Liegestütze machen, bis ich völlig fertig war. Er erzählte mir, ich könnte ‚dies‘ die ganze Befehlskette hoch melden, wenn ich das wünsche, aber ich würde dann nur als ‚einheimischer Terrorist‘ angesehen werden. Diese Einschüchterung wirkte." Um einem zweiten Einsatz im Irakkrieg zu entgehen, entschied sich Justin Colby daher wie Kimberly Rivera, nach Kanada zu fliehen und dort Asyl zu beantragen. Er kehrte freiwillig in die USA zurück, weil er die Verantwortung für seine Desertion übernehmen wollte.

Kriegsdienstverweigerung muss auch für Soldaten möglich sein

"Gerade in einer Kriegssituation ist es entscheidend, dass ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung Soldaten und Soldatinnen zugänglich ist und sie sich sicher sein können, nicht in den Krieg geschickt zu werden", so Rudi Friedrich. "Immer wieder zeigt sich aber, dass das US-Militär hier gegenüber denjenigen, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Krieg keine Waffe mehr in die Hand nehmen wollen, restriktiv vorgeht und sie unter Druck setzt. Connection e.V. fordert daher die unverzügliche Haftentlassung von Kimberly Rivera und Justin Colby."

Connection e.V. bittet um Unterstützung von Kimberly Rivera und Justin Colby über www.Connection-eV.org/aktion

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30. April 2013 2 30 /04 /April /2013 17:48
     Bitte um Unterstützungsschreiben !

Der 19-jährige Kriegsdienstverweigerer Natan Blanc aus Haifa wurde am 18.4.13 zum neunten Mal wegen seiner Kriegsdienstverweigerung zu einer Haftstrafe verurteilt, dieses Mal zu 20 Tagen. Damit erhöht sich die gegen Natan Blanc verhängte Haftstrafe auf insgesamt 150 Tage, seit er am 19.11.12 im Einberufungsbüro in Tal-Hashomer seine Verweigerung erklärt hatte.

In seiner Verweigerungserklärung schrieb Natan Blanc:

„Das erste Mal dachte ich während der Operation ‚Gegossenes Blei‘ 2008 an die Kriegsdienstverweigerung. Die Welle aggressiven Militarismus‘, die über das Land schwappte, der wechselseitige Hass und die nichtssagenden Reden über das Ausmerzen des Terrors und das Schaffen von abschreckenden Effekten waren die ersten Auslöser für meine Verweigerung.

Heute, nach vier Jahren Terror ohne irgendeinen politischen Prozess (bevorstehende Friedensverhandlungen), und ohne Ruhe in Gaza und Sderot, ist klar, dass die Regierung unter Netanyahu, wie schon die Vorgängerregierung unter Olmert, nicht daran interessiert ist, für die bestehende Situation eine Lösung zu finden, sondern sie vielmehr aufrecht erhalten will. Aus ihrer Sicht spricht nichts gegen eine Operation ‚Gegossenes Blei 2‘ nach drei oder vier Jahren (und dann 3, 4, 5, und 6):

Wir werden von Abschreckung sprechen, wir werden einige Terroristen töten, wir werden auf beiden Seiten einige Zivilisten verlieren und wir werden die Grundlage schaffen für eine neue Generation voller Hass auf beiden Seiten.

Als Vertreter des Volkes sehen die Mitglieder des Kabinetts keine Verpflichtung, ihre Vision der Zukunft des Landes aufzuzeigen. Sie können mit dem blutigen Kreislauf weitermachen, ohne dass ein Ende in Sicht ist.

Aber wir, als Bürger und Menschen, wir haben die moralische Pflicht, die Teilnahme an diesem zynischen Spiel zu verweigern.“ Die volle Erklärung in englisch ist zu finden unter http://thelefternwall.com/2012/11/18/natan-blanc-19-from-haifa-to-refuse-service-in-the-idf/2/.

Seine Gefängnisadresse ist:

Natan Blanc, Military ID 7571369,  Military Prison No. 6,  Military Postal Code 01860, IDF.

Die Organisation New Profile bittet auch um Unterstützungsschreiben an Natan Blanc über messages2prison(at)newprofile.org oder Nathanbl(at)walla.com.

Quelle: http://www.connection-ev.de/article-1746

siehe auch: Israelische Soldaten sprechen über ihr Besatzungstrauma

- Virtuelle Führung durch die Ausstellung von Breaking the Silence

- Die Feindschaft gegenüber den Palästinensern und die Kriegsdrohungen gegenüber dem Iran geschehen nicht in unserem Namen

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1. Februar 2013 5 01 /02 /Februar /2013 20:05

Ich möchte mit einer persönlichen Anmerkung beginnen: Ich bin Israeli aus freien Stücken. Vor 35 Jahren bin ich als amerikanischer Student ins Land gekommen und habe mich entschlossen, als Bürger zu bleiben. Meine drei Kinder sind hier geboren. Zwei dienen gegenwärtig in den israelischen Streitkräften.

Ich habe Israel nicht für eine Wirklichkeit gewordene Utopie gehalten, als ich mich entschloss, hier zu leben. Allerdings war ich der Meinung, dass es sich um eine Gesellschaft handelte, in der gewöhnliche Menschen ein ungewöhnliches politisches Engagement an den Tag legten, und meine Hoffnung war, dass dies die Chancen auf einen Wandel erhöhen könnte. Ich glaubte, dass es eine Aussicht auf die Verwirklichung eines liberalen Zionismus gab: auf die Schaffung einer Gesellschaft, in der Juden in der Mehrheit sind, in der jüdische Dispute die Debatten der allgemeinen Gesellschaft sind – aber auch eine Gesellschaft mit vollen Rechten für Nichtjuden, eine Demokratie im vollsten Wortsinn. Ich glaube noch immer, dass dies möglich und notwendig ist, auch wenn viel Zeit vergeudet wurde. Doch heute bin ich um die Zukunft meines Landes zutiefst besorgt.

Denn: Ich schreibe aus einem Israel mit gespaltener Seele. Es wird durch seine Widersprüche nicht nur definiert; es läuft Gefahr, von ihnen zerrissen zu werden. Es ist ein Land mit unsicheren Grenzen und einem Staat, der seine eigenen Gesetze ignoriert. Seine demokratischen Ideale, so sehr sie mithalfen, die Geschichte des Landes zu prägen, stehen kurz davor, wie die Ideologien des 20. Jahrhunderts als falsche politische Versprechen in die Erinnerung einzugehen.

Was wird aus Israel in fünf oder zwanzig Jahren? Wird es die Zweite Israelische Republik gründen, eine blühende Demokratie innerhalb engerer Grenzen? Oder wird es ein Pariastaat sein, wo eine ethnische Gruppe über eine andere herrscht? Oder wird es gar ein auf der Karte markiertes Territorium zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer sein, wo der Staat durch zwei sich bekriegende Volksgruppen ersetzt worden ist? Wird Israel das Zentrum der jüdischen Welt sein oder ein Ort, an den die meisten Juden im Ausland lieber nicht denken? Die Antworten hängen davon ab, was Israel nun tut.

Damit sich das Land als freiheitliche Demokratie neu gründen kann, muss es drei Veränderungen bewerkstelligen. Erstens.....

Quelle: von Gershom Gorenberg

http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/dezember/die-neugruendung-israels

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16. Dezember 2012 7 16 /12 /Dezember /2012 13:03

Herr von Sponeck, Sie haben den Aufruf der Internationalen Initiative zur Beendigung des Krieges in Syrien unterschrieben. Da heißt es »Ja zur Demokratie, Nein zur militärischen Intervention«. Was ist das Ziel dieser Initiative?

 Wir wollen dazu beitragen, dass eine diplomatische Lösung, die auf internationaler Ebene eingefroren wurde, wieder aufgetaut wird. Insbesondere im UNO-Sicherheitsrat muss das Gespräch zwischen den Vetomächten wieder aufgenommen werden, um die kriegerische Auseinandersetzung in Syrien zu stoppen.

 ● Der ehemalige UNO-Sondervermittler für Syrien, Kofi Annan, hatte im Juni dieses Jahres in Genf eine Vereinbarung für Syrien vorgelegt, die die Vetomächte unterzeichnet haben. Kürzlich kritisierte Annan, dass die USA, Frankreich und Großbritannien genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen seien und die Vereinbarung zu Fall gebracht hätten.

 Ich glaube, ein Grund für Annans kritische Äußerungen ist, dass sein Vorschlag, Iran in die Verhandlungen und in Friedensgespräche einzubeziehen, von den USA und Großbritannien abgelehnt wurde. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb er seinen Vermittlerauftrag zurückgegeben hat. Die westlichen Staaten wollen nicht verstehen, dass in einer Krise wie in Syrien alle an einen Tisch gehören. Man kann nicht – wie so oft von den Amerikanern gemacht – nur mit denen Gespräche führen, die auf der eigenen Seite stehen. Das ist das große Verhängnis.

 Wie hat doch Russlands Außenminister Sergei Lawrow immer wieder mit absolute Berechtigung gesagt: Der Sicherheitsrat ist nicht dazu da, um über Regimewechsel zu entscheiden. Die Amerikaner, Briten und Franzosen haben aber eine andere Meinung dazu. Die UNO hat überhaupt keine Rolle mehr gespielt.

 ● Übernehmen die »Freunde Syriens« die Rolle des UNO-Sicherheitsrates?

 Sicherlich nicht, denn diese Freunde sind ja sehr einseitig alle Freunde der Franzosen, Amerikaner und Briten. Die Chinesen und die Russen haben eine ganz andere Position zu Syrien. Der erste falsche Schritt war schon, dass dieser Freundeskreis überhaupt nicht bereit ist, einen Dialog mit dem Assad-Regime zu führen.

 ● Auch die Bevölkerung in Syrien wird in diesen Prozess nicht einbezogen. Wollen Sie mit der Initiative »Ja zur Demokratie, Nein zur militärischen Intervention« auch ein Signal an die Zivilgesellschaft geben, aktiver für eine friedliche Lösung einzutreten?

 Das trifft nicht nur für die Zivilgesellschaft in Syrien zu. Die europäische Zivilgesellschaft muss sich sehr viel stärker einbringen und deutlich machen, dass es so nicht geht. Alle gehören an den Verhandlungstisch, idealerweise auch die syrische Regierung. So weit denken die Staaten, die sich in Marokko getroffen haben, aber nicht, weil sie gar keine friedliche Lösung mehr verfolgen. Zwar sind die Amerikaner nicht mehr, wie noch im Falle Iraks 2003, aktiv mit ihren Truppen beteiligt, aber im Hintergrund schwingen sie weiter den Taktstock und geben den Ton an.

 ● Der Bundestag hat über die Stationierung von Patriot-Raketen und Soldaten im türkisch-syrischen Grenzgebiet entschieden. Ist das hilfreich?

 Hilfreich? Überhaupt nicht! Der ganze Ansatz ist eine Provokation. Als ob die Syrer jetzt daran dächten, die Türkei anzugreifen! Damit wird nur das ohnehin aufgebaute Feindbild Syrien weiter aufgebauscht. Für uns Deutsche ist diese Stationierung von Patriot-Raketen tragisch. Ich bin entsetzt darüber, dass die Bundesregierung sich dazu hat verleiten lassen, dass wir so leichtfertig das letzte politische Kapital in der Region, das wir haben, unser Ansehen, verspielen, indem wir uns an dieser Raketenstationierung beteiligen.

Quelle: http://epaper.neues-deutschland.de/eweb/nd/2012/12/15/a/5/638803/

--

Kommentar von Clemens Ronnefeldt:

Noch Mitte Oktober 2012 erklärte der Oberkommendierende der US-Armee in Europa und der 7. US-Armee, Generalleutnant Mark Hertling, es sei unklar, ob die Granaten, die von syrischem Gebiet abgefeuert werden und in der Türkei einschlagen, von der syrischen Armee oder den Aufständischen oder der PKK abgefeuert werden.

 Die Stationierung von Patriot-Raketen ist rein militärisch gesehen ein unwirksames Mittel gegen diese Granaten. Nach den jüngsten Äußerungen des Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen ist davon auszugehen, dass die Patriot-Raketen im Zusammenhang einer größeren offensiven Nato-Eingreifplanung in Syrien zu sehen sind.

 Im Gesamtzusammenhang der Lieferung von mehreren hundert Panzern an Saudi-Arabien bedeutet ein möglicher Beschluss morgen zur Entsendung deutscher Soldaten, die die Patriot-Raketen bedienen werden, eine erhebliche Eskalation hin zur deutschen Kriegsbeteiligung in der Region. Die Patriot-Raketen sowie die deutschen Panzer an Saudi-Arabien sind vor allem gegen Iran gerichtet.

 Mit der Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung verliert die deutsche Außenpolitik letzte noch verbliebene Möglichkeiten, mit diplomatischen Mitteln zu einem Waffenstillstand und zur Deeskalation beizutragen.

 Gute Argumente für die Ablehnung des Antrages liefert der nachfolgende Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 6.12.2012.

<http://www.sueddeutsche.de/politik/streit-zwischen-buendnis-und-mitgliedstaaten-nato-chef-erwaegt-militaerische-intervention-in-syrien-1.1542913>

Streit zwischen Bündnis und Mitgliedstaaten

Nato-Führung erwägt militärische Intervention in Syrien

 Anders Fogh Rasmussen hat die Nato-Mitgliedstaaten mit Überlegungen zu einem radikalen politischen Kurswechsel vor den Kopf gestoßen. Das Bündnis dürfe in Sachen Syrien "den Kopf nicht in den Sand stecken", sagte der Nato-Generalsekretär nach Informationen der "SZ" - und löste damit eine heftige Debatte aus.

 Von Martin Winter, Brüssel

 Eigentlich hatten sich die Außenminister der Nato am Dienstagabend bei Speis und Trank nur ganz informell und ohne mitlauschende Diplomaten über ihre jeweilige Sicht auf die Lage im Nahen Osten austauschen wollen. Doch noch vor dem Hauptgang verging den meisten der Appetit. Denn der Generalsekretär des Bündnisses, Anders Fogh Rasmussen, hatte sich in einer Art und Weise über Syrien und über den Konflikt mit Iran über die Straße von Hormus ausgelassen, dass einer der Teilnehmer "die Kriegstrommeln" zu hören wähnte.

 Wie mehrere Quellen der Süddeutschen Zeitung bestätigten, hatte Rasmussen gesagt, dass die Nato angesichts der Entwicklungen in Syrien und in der für die Ölversorgung des Westens so wichtigen Straße von Hormus "den Kopf nicht in den Sand stecken" dürfe.

 Jedem am Tisch war klar, was er damit meinte: Die Nato müsse sich militärisch darauf vorbereiten, im Fall des Falles in Syrien einzugreifen. Politisch würde die Nato damit ihren bisherigen Kurs radikal ändern, dass ein Einsatz der Allianz in Syrien ausgeschlossen sei. Unterstützt wurde Rasmussen von den Außenministern der Türkei und Großbritanniens, auch die Amerikanerin Hillary Clinton sprang ihm bei.

 Kein Wunder, denn nur wenige Stunden zuvor hatte der US-Senat fast einstimmig gefordert, "Optionen" zu prüfen, wie die USA den syrischen Machthaber Baschar al-Assad daran hindern könne, "seine Luftwaffe gegen sein eigenes Volk einzusetzen". Nun muss das amerikanische Verteidigungsministerium Vorschläge machen, wie eine Flugverbotszone über Syrien durchgesetzt werden kann. Dass Washington dafür gerne die Nato ins Spiel bringen würde - wie schon beim Libyen-Krieg - liege "doch auf der Hand", sagte ein Diplomat.

 Rasmussen hatte seine politische Kehrtwende mit zwei Fragen eingeleitet: Was würde die Nato tun, wenn die syrische Armee Chemiewaffen einsetzt? Und was, wenn Iran die Straße von Hormus blockieren würde? Die zweite Frage tat Frankreichs Außenminister Laurent Fabius mit der Bemerkung ab, dass man keine Fragen stellen solle, die "nicht akut sind". Die nach Syrien löste dann freilich eine heftige und sehr strittige Debatte aus, in der sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und seine Kollegen etwa aus den Niederlanden, der Tschechischen Republik oder Polen gegen Rasmussen wandten.

 Anders nämlich als die USA oder Rasmussen trauen viele europäische Außenminister amerikanischen Geheimdienstberichten nicht über den Weg, wonach Syrien möglicherweise den Einsatz von Chemiewaffen vorbereitet. Europäischen Geheimdiensten, darunter dem im Nahen Osten gut vernetzten deutschen Bundesnachrichtendienst, liegen dem Vernehmen nach "keine Erkenntnisse" in dieser Richtung vor. Am Dienstag hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow nach einem Arbeitstreffen mit seinen Nato-Kollegen in Brüssel davor gewarnt, alle Berichte über diese Waffen in Syrien für bare Münze zu nehmen. Russland sei in den vergangenen Jahren vielen Gerüchten und Meldungen nachgegangen, und viele hätten sich als falsch oder nur halb wahr erwiesen.

 Aufspaltung in zwei Lager

 Unisono mit Rasmussen hatten die Außenminister Syrien am Dienstag zwar vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gewarnt und mit Konsequenzen der "internationalen Gemeinschaft gedroht". Damit aber, sagte der Minister eines kleineren Landes, sei nicht die Nato gemeint, sondern die Vereinten Nationen. Und Westerwelle wies brüsk eine Frage zurück, ob jenseits der auch von ihm gezogenen "roten Linie" für Syrien ein militärischer Einsatz liege. Es gehe um politische Lösungen.

 Auch wenn es beim Essen der Minister keine Abstimmung gab, so sind danach doch mindestens zwei gegensätzliche Lager erkennbar: Das eine schart sich um die USA, die Türkei, Großbritannien und den Nato-Generalsekretär und denkt über eine direkte oder indirekte militärische Intervention nach. Auch Frankreich tendiert in diese Richtung. Das andere Lager, dem auch Deutschland angehört, lehnt diese Ideen strikt ab. Einer der Gründe dafür ist, dass man das Risiko als hoch einschätzt, damit in Damaskus nur Leuten an die Macht zu verhelfen, die noch gefährlicher sein könnten als das gegenwärtige Regime - und denen dann auch noch die Chemiewaffen in die Hände fallen könnten.

 Zweifel am Patriot-Einsatz

 Es hat aber noch einen anderen Grund, dass sich der deutsche und der niederländische Außenminister vehement gegen Rasmussen wandten: Sie müssen fürchten, in ihren Parlamenten mit der Bitte um Genehmigung des Einsatzes von Patriot-Luftabwehrraketen in der Türkei auf Widerstand zu stoßen, wenn auch nur der Verdacht besteht, die Nato erwäge doch einen Militäreinsatz in Syrien.

 Dabei nämlich würden die Patriots, darunter zwei deutsche Batterien, Teil einer militärischen Offensive und dienten nicht mehr, wie bislang immer versichert, ausschließlich der Verteidigung der Türkei. Ob es so weit kommt, ist ungewiss. Denn allein schon der Auftrag an die militärische Führung der Allianz, eine Einsatzplanung für Syrien zu erarbeiten - und sei es nur auf Vorrat - bedarf der Zustimmung aller 28 Mitgliedsländer. Und die gab es beim Abendessen der Minister bei Weitem noch nicht.

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